: Ganz beiläufig das Strukturkorsett allzu enger Genregrenzen hinter sich lassen: My Sister Grenadine und Suff Daddy
Früher war’s einfacher. Da war My Sister Grenadine: ein Mann und eine Gitarre. Der Mann hieß Vincenz Kokot und spielte diese, seine Gitarre, ausschließlich akustisch. Heute nun ist alles schwieriger: Der Mann heißt immer noch Vincenz Kokot, aber auf seinem zweiten Album „Subtitles & Paperplanes“ wird die Gitarre mitunter auch mal elektrisch verstärkt. Im Mittelpunkt steht sie heute wie damals, wird allerdings nun unterstützt von ein bisschen Geknusper aus dem Computer, einem klimpernden Glöckchen oder einer schrägen Trompete und manchmal sogar von ganz herkömmlichen Instrumenten. Allzu üppig sind die Arrrangements aber immer noch nicht. Deshalb ist viel Platz auf „Subtitles & Paperplanes“ für die Stimme des Berliners. Mit der singt er ziemlich eindringlich und auf Englisch über Feuerwerk oder Eiswaffeltüten. Er singt, dass es nicht so einfach ist, jemanden zu verlassen, und wie es ist, die Wimpern der Geliebten zu finden, die im Becher mit der Milch schwimmen. Vincenz Kokot spielt sonst Gitarre für die Postrock-Kapelle Polaroid Liquide, aber dann eine ausschließlich elektrisch verstärkte. Als My Sister Grenadine will er aber trotz der reduzierten Instrumentierung, Gitarre, nicht so recht ins Schema Singer/Songwriter passen. Dazu sind seine Texte zu assoziativ, zu wenig stringent, dazu sind aber vor allem seine Songs zu wenig Songs. Strukturen aus Strophe, Refrain und Bridge sucht man vergebens. Viele Songs wirken eher wie improvisiert, scheinbar ziellos mäandernd suchen sie sich ein Thema und finden vielleicht nur eine Melodie, vergessen die sofort oder wiederholen sie immerzu. Und das Allerschönste ist: Wenn die eine CD zu Ende ist, kann man die andere einlegen. Denn „Subtitles & Paperplanes“ ist netterweise ein Doppel-Album, zudem liebevoll gestaltet, zum Aufklappen und mit schönen Zeichnungen.
Früher war’s halt einfacher: Da war HipHop halt Musik, zu der ein Rapper rappte. Heute aber ist vieles schwieriger, da gehört auch „The Gin Diaries“ im weitesten Sinne zum HipHop. Obwohl nur selten jemand rappt auf dem Debütalbum von Suff Daddy. Fast scheint es, dass der aus Düsseldorf stammende, aber mittlerweile in Berlin lebende Produzent angetreten ist, seine musikalische Heimat möglichst geschickt zu verschleiern. Denn seine Tracks sind langsam, sie schieben sich fett und selbstbewusst übers Parkett, aber erinnern doch nur mehr aus weiter Ferne noch an Breakbeats. Nicht nur, weil die beständig wechselnden Stimmen eher singen als rappen, nicht nur weil sich ständig neue Ideen aus Dub und Jazz, Soul, Easy Listening oder sogar Techno abwechseln. Sondern eher, weil sich diese Tracks gar nicht mehr kümmern wollen um eine vorhersehbare Struktur, über der das Rappen zumindest theoretisch stattfinden könnte. Es sind eigentlich keine Songs, die Suff Daddy hier programmiert hat, sondern eher Skizzen, die wie auf der Suche scheinen, ohne dabei notgedrungen etwas zu finden. Und hier funktioniert Suff Daddy dann, wenn auch mit völlig anderem Instrumentarium, wieder ganz genauso wie My Sister Grenadine. THOMAS WINKLER
■ My Sister Grenadine: „Subtitles & Paperplanes“ (Solaris Empire/Broken Silence), live mit Kitty Solaris am 30. 7. im Schokoladen
■ Suff Daddy: „The Gin Diaries“ (Melting Pot Music/Groove Attack), live 31. 7. Cassiopeia