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Ganz Kairo geht in den Untergrund

■ Mit Stolz und Gewissensbissen weihten die Ägypter am Sonntag ihre neue 4,5 Kilometer lange U–Bahn ein / Mit französischer Unterstützung und billigen einheimischen Arbeitern entstand ein gigantisches Prestigeobjekt

Aus Kairo Kristina Bergmann

Hin– und hergerissen zwischen Stolz und Gewissensbissen wegen der hohen Kosten nennen die Ägypter ihre 4,5–km–lange U– Bahn die „Vierte Pyramide“ oder eine „Riesenshow“. Steigt man von Kairos Straßen hinab in eine der großen Hauptstationen, die Sadat und Mubarak gewidmet sind, so versteht man das Staunen eines armen Bauern, der meinte: „Wunderbar, wunderschön. Aber warum verstecken wir so etwas Herrliches unter der Erde?“ Die Planer verweisen auf die glorreichen pharaonischen Zeiten, in denen sich die großartigsten Wandbilder ebenfalls unter der Erde befanden. Und die französischen Ingenieure meinen, nicht einmal Charles de Gaulle Etoile sei so gelungen wie die ganz in beigem Marmor gehaltene und mit Imitationen altägyptischer Statuen dekorierte Sadatstation. Nachdem in den letzten Tagen in großer Eile die letzten Sandberge weggeschaufelt, die neuen Straßen asphaltiert, Fußgängerbrücken abgerissen, die Häuser frisch gestrichen und Kairos Tahrir seit vielen Jahren wieder zum Platz geworden ist, fanden sich am Sonntag Hosni Mubarak und der französische Premierminister Jacques Chirac ein, um „die erste Untergrundbahn Afrikas“ einzuweihen. 1981 begannen die Bauarbeiten, ihre Fertigstellung verzögerte sich dann aber um 23 Monate. Schuld daran ist, wie der ägyptische Schriftsteller Yussef Idris sagt, nicht etwa die oft zitierte Faulheit der Ägypter, die in den vergangenen Wochen rund um die Uhr arbeiteten, sondern die mangelnde Planung der Verantwortlichen. Die 4,5 Kilometer lange U– Bahnstrecke, die mitten durchs Stadtzentrum führt, und ihr Anschluß an die bestehende, modernisierte, überirdische Metro nach dem 30 Kilometer entfernten Heluan stellen die erste Etappe des gigantischen Projekts dar, dessen Planung auf Sadat und Giscard dEstaing zurückgeht. Bis Ende 1989 soll mit der Modernisierungder nördlichen el Marg–Linie die Regionallinie fertig werden. 1980 auf unrealistische 270 Millionen Mark veranschlagt, belaufen sich die Kosten nun offiziell auf 450 Millionen, inoffiziell auf etwa doppelt soviel, wovon Ägypten ungefähr 80 Millionen trägt. Der Rest ist ein Kredit der französischen Regierung und Banken. 250 Millionen Mark sind viel Geld für ein 4,5 Kilometer langes U–Bahnstück, doch stellt sich die Frage, wie teuer der Abschnitt geworden wäre, wenn die meisten Bauarbeiter nicht junge Männer und Kinder vom Land gewesen wären, die für fünf Mark am Tag ohne Versicherung arbeiten und auf der Baustelle in improvisierten Zelten kochen und schlafen - bis sie wieder nach Hause geschickt werden. Die ägyptische Regierung ist der Meinung, daß das Volk die hohen Kosten zu tragen habe, da der Staat tief in den roten Zahlen stecke. Entsprechend hoch sind die Fahrpreise: 25 Piaster (100 Piaster = ein Pfund = 80 Pfennig) kostet die Fahrt bis zu acht Stationen; 50 Piaster die Fahrt auf der gesamten Strecke. Benutzer ohne gültigen Fahrschein bezahlen zwei Pfund Strafe. Bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 50 bis 150 Pfund ist dies ein kleines Vermögen, wobei es natürlich zahlreiche Ermäßigungen, besonders für Staatsbeamte und Studenten, gibt. Sie bezahlen für eine Monatskarte zwischen 1,5 und fünf Pfund. Beim Bau stießen die französischen und ägyptischen Ingenieure auf zahlreiche Probleme. Das größte, so der Ingenieur Adel Hamid, sei die Umleitung der Strom–, Gas– und Telefonleitun gen und der Kanalisation gewesen, die in Unmengen und ohne auf irgendeiner Karte eingetragen zu sein, den Boden des Stadtzentrums durchziehen. Gegen den stellenweise nur 50 cm tief liegenden Grundwasserspiegel habe man sich mit Ummantelung und Drainage der auszuhebenden Gräben geschützt und mit Bodeninjektionen habe man den sandigen Boden hart wie Beton gemacht. Französische Technologie kennt keine halben Sachen: Zur Signalisierung dienen Telekommunikationssysteme, zum Komfort der Passagiere Klimaanlagen und zur Fahrscheinkontrolle Entmagnetisierungsmaschinen. Daß die Franzosen zu keinerlei Konzessionen bereit waren, die das Projekt dem hiesigen Lebensstandard und den Finanzierungsmöglichkeiten angepaßt hätten, ist manchem Ägypter ein Dorn im Auge. Auf harte Kritik stieß auch die bevorzugte Verwendung ausländischer Materialien. Als bekannt wurde, daß sogar die magnetischen Fahrscheine aus Frankreich importiert werden, fragten sich die Ägypter, ob Frankreich nicht auch die passenden Passagiere schicken könnte. Immerhin soll die neue U–Bahn mit ihren neun Bahnen (pro Stunde bis zu 60.000 Fahrgäste) den Verkehr im Stadtzentrum um 20 Prozent verringern, den durch Stau verursachten Verlust an Arbeitsstunden in Höhe von mehreren Millionen ausgleichen, und aus neuem Umweltbewußtsein heraus wird besonders die Verringerung der Abgase gelobt. Manch einer, der Kairos Verkehr täglich als Alptraum von überfüllten Bussen, Gestank und Gehupe erlebt, fragt sich, wie lange die Pracht wohl halten wird. In Zeitungen und im Fernsehen wird deshalb täglich zu Sauberkeit und Ordnung aufgerufen und an das strikte Rauchverbot erinnert. Innenminister Zaki Badr begnügt sich nicht mit Aufrufen und hat kurzerhand über 100 neue Arbeitsplätze geschaffen: für die Polizei und ihre scharfen Hunde.

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