piwik no script img

Gandhi lehnt Regierungsbildung ab

Die indische Kongreß-Partei Rajiv Gandhis unterstützt Chandra Shekhar/ Der Abweichler der Janata-Dal-Partei hat nun alle Chancen, Premierminister Indiens zu werden  ■ Aus Neu Delhi Cornelia Meyer

Wer wird neuer indischer Premierminister? Das war die Frage, die einen Tag nach dem Sturz der Regierung V. P. Singh hektisches Feilschen und Rechnen hinter verschlossenen Türen auslöste. Zur Debatte standen zwei Politiker: Rajiv Gandhi und Chadra Shekhar. Erst gegen Abend zeichnete sich ein Ergebnis ab. Rajiv Gandhi erklärte, er halte Shekhar für fähig eine stabile Regierung zu bilden. Demnach hat Chandra Shekhar alle Chancen neuer Premierminister zu werden, denn Gandhi hat ihm die Unterstützung zugesagt. Ohne die bekäme Shakar, der zur Zeit eine Gruppe von nur 56 Parlamentariern hinter sich weiß, keine stabile Mehrheit im Unterhaus zusammen.

Gandhi und Shekhar waren sich über dieses Verfahren schon vor dem Sturz der Regierung V. P. Singh handelseinig geworden. Doch im letzten Moment hatte Singh noch versucht, den Plan unter Ausschöpfung aller juristischen Mittel zu durchkreuzen. Nachdem sich Chandra Shekar, der selbst der Janata Dal Partei V. P. Singhs angehörte, am Montag mit seinen Fraktionskollegen von Singh losgesagt und damit die Spaltung der Janata-Dal-Partei herbeigeführt hatte, schloß Singh die Dissidenten aus seiner Partei aus und verbaute seinem Herausforderer damit den Weg zur Amtsnachfolge. Denn fraktionslosen Abgeordneten ist es nach indischem Recht verboten, eine Regierung zu bilden. Doch Singhs Rechnung scheint nicht aufzugehen.

Am Mittwoch kündigte das Parlamentpräsidium an, man werde die Abgeordnetenrechte der Abweichler nicht antasten. Damit nahm Shekhar eine entscheidende Hürde auf dem Weg zur Macht.

Wenn Rajiv Gandhi Shekhar jetzt den Vortritt läßt, so hat das gute Gründe. Zum einen würde ihn Shekhars Gruppe, das wurde am Donnerstag deutlich, nicht unterstützen. Außerdem weiß er angesichts der immensen wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Konflikte in Indien nur zu gut, daß des Premierministers Sessel alsbald zu einem Schleudersitz werden könnte. Gandhi hat zwar den Fuß in die Tür zur Macht gestellt, aber sich noch nicht zur Verantwortung gedrängt.

Bis vor wenigen Wochen galten die beiden Politiker als Erzfeinde. Der nach eigenem Bekunden „Alt- Sozialist“ Shekhar zählte zu den schärfsten Kritikern der Kongreßpartei. Rajiv Gandhis Mutter Indira, hatte Shekhar während des Ausnahmezustands 1975 monatelang ins Gefängnis gesteckt. Daß sich diese beiden Politiker nun für mehr als nur eine Übergangszeit zusammenschließen könnten, scheint eher unwahrscheinlich.

Wer auch immer die Nachfolge V. P. Singhs antritt, vor allem der umstrittene Neubau eines Hindutempels in Ayodhya wird auch für den neuen Premier erst einmal das heißeste Eisen sein. Es war der „Fall Ayodhya“, der V. P. Singh letztendlich sein Amt kostete. Sein Nachfolger wird sich daran messen lassen müssen, wie er diesen Konflikt angeht und nichtnur diesen: Die Rupie verliert sehr schnell an Wert, die Devisenreserven schmelzen durch die Golfkrise dahin, wie Schnee vor der Sonne, die Lebenshaltungskosten in Indien steigen rapide. Sezessionistische Kräfte zerren an Mutter Indien in Assam, in Punjab und in Kaschmir. All diese Probleme hatte Singh offenbar nicht empfunden, geschweige gelöst. Daß sein Nachfolger sie mit Bravour lösen wird, ist allerdings auch nicht zu erwarten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen