Gala auf dem taz-Kongress: "Die Urhorde langsam zivilisiert"
Christian Ströbele erinnert an "immer gewaltfreie" Redaktionssitzungen, Daniel Cohn-Bendit will taz-Titel mit Umarmung belohnen und Bascha Mika wünscht sich ärgerliche Gäste. Wie die taz sich selbst feiert.
BERLIN taz Mit einer feierlichen Gala wurde am Freitag Abend der Kongress zum 30. Geburtstag der taz eröffnet. Mit dabei: Eine Reihe hochkarätiger Gratulanten, wie die ehemalige Redakteurin Elke Schmitter, taz-Mit-Gründer Hans-Christian Ströbele und – zunächst nur im Grußwort – der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).
Alle hatten persönliche Erinnerungen beizusteuern: Moderatorin Sonia Mikich erzählte von einer ehemaligen Affäre mit einem taz-Fotografen, taz-Abos als Weihnachtsgeschenken und – freundlich ausgedrückt – sehr heterogen gestalteten Zeitungsseiten in der Anfangsphase. Ströbele erinnerte an vergangene Redaktionssitzungen, die schließlich "immer gewaltfrei" waren, Karrieren in der taz und die bis heute nicht eingetretene Entzauberung. Auch das Publikum freut sich über Erinnerungen wie an die Aktion "Waffen für El Salvador". Die ist für Anwalt Ströbele mittlerweile zu einer juristischen Herausforderung geworden. Denn ein Teil des Geldes ist nicht ausgegeben und der Verein, der damals sicherstellen wollte, dass das Geld auch ankommt, existiert nicht mehr.
"Die taz hat als Urhorde begonnen und sich langsam zivilisiert", analysiert Schmitter.
Blumen gab es – wie sich das bei einem Geburtstag gehört – auch, unter anderem für den Geschäftsführer, Karl-Heinz Ruch. Der verweigerte aber eine Rede oder Ähnliches mit den Worten: "Es soll unterhaltend weitergehen." "Ich weiß nicht, ob das möglich ist", schäkerte Moderatorin Sonia Mikich mit Blick auf den nächsten Programmpunkt: die Grußbotschaft des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, der persönlich erst am Samstag dabei sein kann.
Selbstverständlich wurde auch der letzte Skandaltitel der Zeitung – Klinsmanns Gesicht montiert an das Kreuz der Schlussszene aus „Das Leben des Brian“ - gewürdigt. „Ihr habt wirklich Glück, dass Klinsi so humorfrei ist“, kommentierte Mikich. Denn natürlich bedeute eine juristische Auseinandersetzung auch immer öffentliche Aufmerksamkeit. Und schließlich gebe es "keinen anständigeren Platz als den des Störenfriedes.“
Da stellt Bascha Mika zu Recht die Frage: Wie soll man das noch zum 35. Geburtstag toppen? Um sich gleich selbst die Anwort zu geben: Vielleicht Brot und Spiele im Berliner Olympiastadion und zum Abschluss eine Stunde Feuerwerk? Soviel zum Thema Utopie.
Zuvor hatten Mika, der Intendant des Haus der Kulturen der Welt Bernd Scherer und der Fraktionsvorsitzende der europäischen Grünen im EU-Parlament Daniel Cohn-Bendit den taz-Kongress eingeläutet. Die Auster, das Restaurant im Haus der Kulturen der Welt, war so gut gefüllt, dass sich die Besucher nicht nur an den Restauranttischen, sondern auch auf Treppe und Galerie drängten. „Macht nichts“, meinte eine junge Frau, die vor Beginn den Violonklängen der Konstanzer Künstlerin Dorle Ferber lauschte. Sie war froh, überhaupt eine der begehrten Karte ergattert zu haben.
Chefredakteurin Bascha Mika begrüßte die Gäste zu den „taz-Feiertagen“, die eine Einladung sein sollten „über Ideen für die Zukunft nachzudenken“ - all das unter dem Motto „Tu was“. Dem wollten die Besucher gerne folgen. „Es gibt so viele Sachen, die mich interessieren, ich weiß noch nicht, ob ich alles schaffe“, sagte die Berlinerin Therese Wiedenhöft. Immerhin: Eine Karte hat sie schon besorgt.
Auch Besucherin Gabriele Kammer, im Foyer des Haus der Kulturen der Welt in das doppelseitige Kongress-Programm vertieft, blickte mit Spannung auf das Wochenende. Obwohl sie erst bei der dritten Zeile des Programms angelangt war, hatte sie schon eine ganze Reihe von Veranstaltungen als interessant markiert. „Freiheit statt Angst“ zum Beispiel oder die Veranstaltung zum Geschlechterkampf, die auch Wiedenhöft spannend fand.
Daniel Cohn-Bendit, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Grünen im EU-Parlament, den Sonntaz-Redakteur und Moderator Jan Feddersen nicht nur als Leser, sondern auch als einen der „wunderbarsten Nervtöter, den man sich zur taz-Geschichte vorstellen kann“ ankündigte, sprach in seiner Rede über Freiheit, die Freiheit zu entscheiden, auch schwierige Entscheidungen zu treffen, im Politischen wie im Privaten. Den Bogen schlug er dabei in gewagtem Umfang vom Nahostkonflikt über politische Entscheidungen im Alltag bis zur taz. „Freiheit gibt es nur, wenn man sie auch öffentlich wahrnimmt“, schloss Cohn-Bendit „und deshalb liebe ich die taz.“ Trotz aller Kritik – für einen Titel wie „Wir sind peinlich“, könne er alle umarmen.
Mit seiner Rede traf er offenbar den Nerv des Publikums. Zahlreicher Lacher und wiederholt spontaner Applaus begleiteten Cohn-Bendits Ausführungen. Damit hätte die Mehrheit des Publikums schon vor Beginn der eigentlichen Kongressveranstaltungen einen der von Bascha Mika formulierten vier Wünsche für den Kongress erfüllt: sich einmal richtig zu freuen, sich einmal zu ärgern, einen handfesten Streit und mindestens einen richtig guten utopischen Gedanken zu haben. Denn "Tu was" - Utopie & Freiheit" ist ja schließlich auch das Motto des drei Tage Geburtstagsfeier.
tazkongress zum Nachschauen: Videos fast aller Veranstaltungen ab Samstag laufend unter 30jahre.taz.de.
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