Gängeviertel: Kunst siegt über Kommerz
Investor Hanzevast einigt sich mit Hamburg. Senat kauft historisches Quartier für 2,8 Millionen Euro zurück. Nun wird mit Künstlerinitiative über die Nutzung verhandelt und ein städtebauliches Konzept erarbeitet
Grund zum Jubeln im Hamburger Gängeviertel: Die Stadt wird das historische Arbeiterquartier vom niederländischen Investor Hanzevast für 2,8 Millionen Euro zurückkaufen, teilte der Senat am Dienstagnachmittag mit. "Das ist ein wahnsinnig toller Schritt, dass das geklappt hat", sagt Christine Ebeling von der Künstler-Initiative "Komm in die Gänge", die für die Erhaltung des Ensembles streitet. Der Senat habe damit bewiesen, dass er in der Kultur- und Stadtplanungspolitik ernsthaft umdenken wolle. Die Initiative hoffe, dass das auch für andere umstrittene Projekte gelte.
Seit Ende August halten mehr als 200 KünstlerInnen das historische Viertel in der Hamburger Innenstadt besetzt, um die denkmalwürdigen Gebäude zu retten und auf die Raumnot von Künstlern hinzuweisen. Daraus entwickelte sich eine breite Bewegung, die unter dem Motto "Die Stadt gehört allen" eine Stadtentwicklung fordert, die nicht die übliche Mischung aus Büros, Geschäften, Cafés und hochpreisigen Wohnungen in den Mittelpunkt stellt.
Ende Oktober veröffentlichten Prominente aus der Kulturszene das Manifest "Not In Our Name, Marke Hamburg". In dem Papier, das inzwischen von rund 2.600 Menschen unterzeichnet worden ist, heißt es, günstige Ateliers dürften nicht das "Alibi einer Stadt sein, die nur für die Besserverdienenden da ist." Auch Filmregisseur Fatih Akin, die evangelische Bischöfin Maria Jepsen oder der Architektenverband unterschrieben.
Seitdem verhandelte die Stadt intensiv mit Hanzevast über einen Rückkauf des Ensembles, das der Investor 2008 gekauft und für das er im September 2009 eine Baugenehmigung erhalten hatte. Mehrere Kaufpreisraten waren termingerecht überwiesen worden. Jetzt haben sich Hamburg und Investor auf die Aufhebung der Verträge und die Rückerstattung der geleisteten Zahlungen verständigt.
Die 2,8 Millionen Euro sollen den Investor für seinen Aufwand entschädigen. Die Stadt erhält dafür alle Pläne. Der ebenfalls zurück zu erstattende Kaufpreis, über den sich der Senat ausschweigt, ist in der Summe nicht enthalten. Beide Seiten seien sich "einig, dass eine Umsetzung des bisherigen Konzeptes weder für den Investor noch für Hamburg zukunftsweisend ist", wird in der Pressemitteilung der Umstand beschrieben, dass Kunst über Kommerz gesiegt hat.
Die Stadt will nun mit der Künstlerinitiative eine neue Nutzungsvereinbarung abschliessen. Bis Ende März sollen die Eckpunkte für ein städtebauliches Konzept, die architektonische Umsetzung, beteiligte Akteure und mögliche Finanzierung geklärt sein, hofft der Senat. "Unter Berücksichtigung der Kriterien Stadtentwicklung, Denkmalschutz, Künstlernutzung und Wirtschaftlichkeit wollen wir eine tragfähige Lösung für das Gängeviertel finden", sagt Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk (Grüne). Ihr Ziel sei, ergänzt die parteilose Kultursenatorin Karin von Welck, zusammen mit den Künstlern "das Gängeviertel zu einem lebendigen, kreativen innerstädtischen Quartier weiterzuentwickeln." Den Künstlern schwebt eine vielfältige Nutzung mit viel öffentlichem Raum vor.
Der Senat müsse sich jetzt vor allem von dem Plan verabschieden, das Ensemble an einen weiteren Investor zu verkaufen, forderte die oppositionelle SPD. "Die Erfahrungen der vergangenen acht Jahre haben gezeigt, dass das Gängeviertel als Investorenprojekt nicht taugt", sagte der Bürgerschaftsabgeordnete Andy Grote. Die Stadt müsse das Viertel in eigener Regie und Verantwortung sanieren und verwalten.
Aus Sicht von Markus Schreiber (SPD), dem Leiter des Bezirksamtes Mitte, käme dafür das städtische Wohnungsunternehmen Saga/ GWG in Frage oder auch der Sanierungsträger Steg, in dessen Treuhandvermögen die Immobilien überführt werden könnten. Es sei nicht realistisch, das mit einem neuen Investor umzusetzen, "der unter den gleichen wirtschaftlichen Zwängen steht wie der alte".
Der Denkmalverein begrüßte die Einigung als "Erfolg für die Bürger". Er hofft, dass dadurch der Weg für eine "denkmalpflegerische Lösung" frei werde.
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