GESUNDHEIT: Die vergessenen Vulkanesen
Die Zahl der einstigen WerftarbeiterInnen, die am krebserregenden Asbest erkranken, steigt noch immer an. Doch das zu beweisen, fällt ihnen bis heute schwer.
Von der lokalen Politik, nein, von der erwartet sich Rolf Spalink "nichts" mehr. Auch nicht jetzt, wo sie gerade zaghafte Schritte unternimmt, sich seiner anzunehmen. "Die Situation der Asbest-Geschädigten in Bremen und Bremerhaven verbessern" steht über der Großen Anfrage die Rot-Grün soeben an den eigenen Senat gestellt hat. Spalink ist einer von jenen Geschädigten. Einst war er ein "Vulkanese", lange Jahre saß er im Betriebsrat der Werft. Heute hat der 65-Jährige Absestose, eine oft tödliche Staublungenerkrankung. Noch immer kämpft Spalink für die alten KollegInnen, die sie auch haben. Oder Krebs. Es werden, sagen Wissenschaftler, noch bis 2017 immer mehr werden.
Fast genau 13 Jahre her, dass der Vulkan für immer dicht gemacht hat. Und das Ende der AG Weser, 1983, das ist noch mal so lange her. Aber das krebserregende Asbest, dem die ArbeiterInnen einst massiv ausgesetzt waren, macht oft erst nach 30, 40 oder 50 Jahren krank. Aus der öffentlichen Wahrnehmung sind sie dann lange verschwunden.
Wie viele genau schon heute betroffen sind, lässt sich nicht genau sagen. Bis zu 10.000 Leute haben einst allein bei Vulkan gearbeitet. 7.749 BremerInnen - 60 Prozent davon über 60 - werden heute routinemäßig auf asbestbedingte Krankheiten untersucht. Eine umfassende Statistik über solche Beschwerden wird in Bremen nicht geführt. Das Bremer Krebsregister listet seit 1998 jedes Jahr bis zu 90 Fälle auf, bei denen Tumore mit Asbest in Verbindung gebracht werden können. Doch schon für 2008 gibt es keine genauen Zahlen mehr. Danach hört es ganz auf. Hinzu kommen 650 Menschen allein bei Vulkan, die Asbestose haben, sagt Spalink. Er berät bis heute Berufskranke - ehrenamtlich, weil seine Arbeit schon seit 2005 nicht mehr bezahlt wird.
Schon 1968 gab es vom Gewerbeaufsichtsamt Hinweise über die Gesundheitsgefahr, die von Asbest ausgeht. Zehn Jahre später, als die Vulkanesen die "Kungsholm" umbauten, wurden die Grenzwerte um das 40-fache überschritten. Erst seit 1993 sind Herstellung und Verwendung von Asbest verboten.
Viele Betroffene kämpfen bis heute darum, als berufskrank anerkannt zu werden. Und selbst wenn sie das geschafft haben - was wie Spalink sagt, "selten" ist - heißt das noch lange nicht, dass sie auch eine Entschädigung oder Rente bekommen. In dem Senatspapier liest sich das anders: Nur ein "kleiner Teil" der angezeigten Berufskrankheiten würde wegen "fehlender Asbesteinwirkung" abgelehnt. Im Falle der Asbestose würden etwa 30 Prozent, bei Lungen- oder Kehlkopfkrebs rund 40 Prozent der Anträge abgelehnt. Eine "eher geringe" Quote, wie der Senat findet. Für die Betroffenen geht es auch um viel Geld: In 672 Fällen, in denen die AOK gezahlt hat, waren es im Schnitt 12.794 Euro.
Das Problem: Wer als berufskrank anerkannt werden will, muss nachweisen, dass das Asbest schuld daran war. Und nicht der Umstand, dass einer etwa geraucht hat. Das fällt "schwer", das erkennt auch der Senat an, zumal viele Beweise mit der Werft untergegangen sind. Viele Unterlagen, sagt Spalink, seien beim Konkurs in einer "sehr durchdachten" Aktion "total vernichtet" worden. Für viele Betroffene sei es der "größte Hohn", sagt er, dass sie es sind, die mühsam beweisen müssen, dass ihre Arbeit sie krank gemacht hat.
Ein weiteres Problem: Neutrale Gutachter zu finden. Viele ÄrztInnen arbeiten selbst für die Berufsgenossenschaft, die über die Anträge entscheidet. Spalink bezweifelt "fast generell", dass es mit den Gutachten seine Ordnung hat. Der Landesgewerbearzt, so der Senat, habe an der "Mehrheit" der vorgelegten Gutachten nichts zu beanstanden.
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