GESCHICHTE FÜR ELFJÄHRIGE : Du und David Bowie
Wie erklärt man dem Nachwuchs David Bowie? Bei anderen Popstars geht das ganz leicht. Elvis? Der mit der Schmalztolle und dem Rock ’n’ Roll. Die Beatles? Topfschnitt und „Yeah Yeah Yeah“.
Aber Bowie, wegen dem wir jetzt in dieser Schlange vor dem Martin-Gropius-Bau stehen? Bisexuell? Drogenkur in Berlin? Die Kinder vom Bahnhof Zoo? Das kapiert keine Elfjährige. Okay, versuchen wir’s mit dem eigenen Erleben.
„Liebe Elfjährige. Als Mama und Papa noch jung waren, sind sie immer in so einen Club gegangen (ein Kellerloch, in dem man tanzt, bis die Sonne aufgeht), und dieser Club hieß Tresor. Den Tresor gibt es heute noch. Aber als er irgendwann mal zumachte, waren deine Eltern dabei. Du warst bei deiner Tante. In diesem Keller hat Mama ihren Fahrradschlüssel verloren, und deshalb musste sie am nächsten Tag noch mal hin. Da war die Abschiedsparty noch immer nicht vorbei, obwohl inzwischen Montagmorgen war. Weil deine Tante keine Zeit mehr hatte, musste Mama dich mitnehmen. Da warst du drei Jahre alt. Die Türsteher haben Mama und dich eingelassen, obwohl sie das eigentlich nicht dürfen. Mama hat im Tresor im Keller nach ihrem Fahrradschlüssel gesucht, während irgendwelche verstrahlten Raver, die im Tresor-Garten herumlagen, dir einen Kirschsaft spendiert haben. Mama hat den Schlüssel nicht gefunden, aber sie war dabei, als im alten Tresor die allerletzte Platte gespielt wurde: „Heroes“ von David Bowie. Da hat sie dich aus dem Garten auf die Tanzfläche geschleppt, damit du das mitbekommst, und Dimitri Hegemann hat dir am Ende eine gebrannte CD gegeben, „für die nächste Generation“, mit einer unveröffentlichten Aufnahme von Juan Atkins. Die haben wir heute noch. So, könntest du bitte deinen Schülerausweis rausholen, wir sind gleich dran an der Kasse.“
TILMAN BAUMGÄRTEL