GEHT’S NOCH? : Merkel statt Meinung
DIE KANZLERIN MAG KEINE BUNDESWEITEN VOLKSENTSCHEIDE: SIE HÄLT SICH FÜR DIE DEMOKRATIE IN PERSON
Diese Woche wäre beinahe in die Geschichte eingegangen. Da sind doch tatsächlich Thomas Oppermann, die neue Allzweckwaffe der SPD, und Hans-Peter Friedrich, das Deutschlandfähnchen der CSU, auf die grandiose Idee gekommen, künftig mal das Volk bestimmen zu lassen, wenn es richtig um was geht. Also bei bundespolitischen Entscheidungen. Und das nur schlappe 64 Jahre, nachdem ein Haufen schlauer Menschen in unser Grundgesetz geschrieben hat, dass alle Gewalt vom Volke auszugehen habe. In Wahlen. Und in Abstimmungen!
Doch dann kommt Angela Merkel, rümpft ein wenig die Nase, und schon ist das Oppermann-Friedrich-Papier wieder vom Tisch bei den Koalitionsverhandlungen. Passt ihr nicht in den Kram. Weg damit. Feierabend.
Der einen da ganz oben gefällt etwas nicht – und schon haben die restlichen 80 Millionen die Schnauze zu halten? Kann es einen deutlicheren Beweis dafür geben, dass hier gerade etwas richtig schiefläuft?
Dennoch gibt es Leute, die glauben, Basisdemokratie, ach nee, total unnötig. Wir haben doch Angela – die mit dem Wind weht – Merkel, die ist doch der Volksentscheid in Person. Die meisten dieser Leute nennen die Kanzlerin „Mutti“ – und meinen das, ja, irgendwie zärtlich. Weil: „Mutti“ macht das schon. Die passt auch auf, dass die Kleinen nicht auf dumme Gedanken kommen. Und wenn „Mutti“ das nicht für uns erledigen würde, dann müsste man ja anfangen, sich eine Meinung zu bilden. Schlimmer noch: Man müsste auch versuchen, andere von seiner Meinung zu überzeugen, damit bei einer Volksabstimmung kein Unsinn rauskommt. Wie anstrengend.
All diesen Mamasöhnchen (und -töchtern natürlich auch) kann man nur wünschen, dass sie bald in die Pubertät kommen. Da stellt sich so was wie eine eigene Meinung meist von selbst ein. Da kommt man schnell von allein drauf, dass es nicht „Muttikratie“ heißt, sondern „Demokratie“. Da guckt man dann vielleicht mal bei Wikipedia, woher dieser Begriff kommt und was der eigentlich genau heißt. Aha, Altgriechisch für „Herrschaft des Volkes“. Hört sich gut an, könnte man doch jetzt echt mal wörtlich nehmen – ein paar Jahrtausende später.
Aber so weit sind wir noch nicht. Diese Republik steckt noch in der präpubertären Phase. GEREON ASMUTH