GASTKOMMENTAR: Da war doch was...
■ Französischer Verteidigungsminister erstmals in Bonn
Wenn ein sozialistischer Verteidigungsminister namens Jean –Pierre Chevenement aus Paris erstmals zu Besuch an den Rhein kommt, wirft mancher Altlinke einen verduzten Blick ins Bücherregal. Ganz hinten stehen da „Chevys“ ziemlich verstaubte Werke aus den wilden siebziger Jahren unter der Rubrik „Beiträge zum wissenschaftlichen Sozialismus“: Dröge Aufrufe für die sozialistisch-kommunistische Volksfront und markige Programme zur Verstaatlichung von Banken und Großkonzernen, was der einstige Vordenker und Chef des CERES, der französischen Linkssozialisten, dann als Minister in den Achtzigern auch in die Wege geleitet hat.
Daß der Kollege einmal Liebling aller westdeutschen Jusos und Stamokaps und die heimliche Liebe der DKP war, braucht Rupert Scholz nicht zu stören. Die beiden frischgebackenen Minister für Landesverteidigung werden einträchtig und garantiert ideologiefrei weiter am dicken Brett deutsch –französischer Rüstungs- und Verteidigungskooperation gebohrt haben. In der „Bedrohungsanalyse“ sind sie gegen alle Genschers, Bahrs und Gorbatschows d'acord: Der Feind steht im Osten und ein „gemeinsames Haus“ mit ihm wird es nicht geben. Bei den Parteifreunden in der SPD-Baracke schaut der französische Sozialist schon gar nicht mehr vorbei.
Ist da (noch ein) linker Paulus zum realpolitischen Saulus geworden? Keineswegs. Chevenement ist ein bißchen grauer geworden und hat marxistischen Ballast abgeworfen, aber erst in diesem Amt hat er zu sich selbst gefunden. Als Propagandist ungebremsten Wirtschaftswachstums, als rosa –gaullistischer Pazifistenfresser und jetzt als oberster Verwalter der Force de Frappe war und ist sein Leitmotiv die nationale Unabhängigkeit Frankreichs. Und da müssen dann auch die „deutschen Gaullisten“ vom rechten Flügel, die von einer atomaren Teilhabe träumen, in die Röhre gucken.
Claus Leggewie
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