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GASTKOMMENTARBeschäftigungstherapie

■ Minister Krauses Vorschlag, Werften und Chemieindustrie in der DDR zu verstaatlichen

Ich habe es geahnt, irgendwann mußte dieser GAU der neuen Unübersichtlichkeit kommen: Ein Minister der CDU fordert die Verstaatlichung von Werften und Chemieindustrie in der Ex- DDR, also dort, wo doch gerade erst die staatliche Organisation der Ökonomie den desaströsen Verfall der Produktivität und damit den Untergang des Sozialismus herbeigeführt hatte.

Was ist aus dieser erstaunlichen Wende des Ministers Krause zu schließen?

Erstens: Das Konzept der schnellen marktwirtschaftlichen Übernahme ist gescheitert. Der entscheidende Fehler der Bundesregierung nach der geschenkten Wiedervereinigung: sie hat selbst nicht an das Erfolgsrezept der Rekonstruktion der BRD nach 45 geglaubt: Demokratie und Marktwirtschaft funktionieren als Garant einer prosperierenden Entwicklung nur dann sozialverträglich, wenn sie über einen historischen Zeitraum wachsen. Schärfer ausgedrückt: Demokratie und Marktwirtschaft sind nicht administrierbar! Den ebenfalls diktatorisch regierten und ökonomisch verschlafenen Ländern Spanien und Portugal war mit gutem Grunde eine Schonfrist bei ihrer Integration in den europäischen Markt gewährt worden. Ähnliches hätte man der Ex-DDR klugerweise auch einräumen sollen. Was Bundesregierung und Treuhand seit der Einführung der Westmark in der Ex-DDR versucht haben, hatte eher den Charakter einer ideologisch motivierten Racheaktion als einer marktwirtschaftlich intelligenten Industrie- und Strukturpolitik. Krauses Forderung ist hilfloser Populismus!

Zweitens: Die Forderung Krauses eröffnet für die Werften und für die Chemieindustrie keine nennenswerte Perspektive. Für die Werften sind kaum Aufträge zu erwarten. Der Verstaatlichung müssen höchste Subventionen für die Reeder folgen, wenn die ersehnten Beschäftigungseffekte eintreten sollen. Den europäischen Werften, insbesondere denen in Kiel und Bremen, wird das nicht gefallen. Noch schlimmer ist die Situation in der Chemieindustrie. Wie so häufig paaren sich niedrigste Produktivität und grauenhafteste Emissionen. Eine Modernisierung des Bestehenden, die bei den Werften wenigstens noch denkbar wäre, ist hier aussichtslos. Die Marktwirtschaft kommt ungefähr dreißig Jahre zu spät.

Die in dem Vorschlag von Krause enthaltenen Betriebe werden nichts anderes sein können als staatlich subventionierte, therapeutische Beschäftigungsinstanzen. Die betroffenen Arbeiter und Angestellten mögen sich mit einigem Recht kurzfristig freuen, doch werden sie jetzt als genau das behandelt, was sie die letzten vierzig Jahre waren: mehr oder weniger sinnvoll Beschäftigte eben.

Krauses Vorschlag macht deutlich, daß die Bundesregierung jetzt perspektivlose Sozialpolitik betreiben muß, weil sie in der Struktur- und Wirtschaftspolitik gänzlich versagt hat. Recht geschieht ihr! Jo Müller

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