GASTKOMMENTAR: Unsere Freiheit - ihre Macht?
■ Die Opfervereine müssen in der Stasi-Zentrale bleiben
Als sich am 15. Januar 1990 die Tore der Zwingburg Stasi in der Normannenstraße öffneten, bezogen Bürgerrechtler und später Opfervereine demonstrativ das Herzstück des Ganzen, das Mielke-Haus Nummer 1. Das Gemäuer ist jetzt wieder ins Gerede gekommen. Der Finanzsenator der Stadt hat es geschafft. In einem Brief spricht Herr Pieroth von einem durch die Bürgerrechtler »zum Teil beanspruchten Komplex«. Dies ist eine boshafte Übertreibung, denn der »Komplex« umfaßt mehr als 40 (!) Gebäude. Davon beanspruchen die Opfervereine einzig und allein das Haus 1, einen Bau, der in seiner Anlage typisch das spießige Repräsentationsbedürfnis der einstigen Politbürokraten widerspiegelt. Ansprüchen einer modernen Finanzverwaltung kann dieses Gemäuer nicht genügen.
Was also will der Finanzsenator? Räume — und bessere — findet er in der Normannenstraße hinreichend. Außerdem könnte die Reichsbahn ihre Verwaltung dort verkleinern. Was bewegt Herrn Pieroth wirklich, wenn er den Kehraus, den Herr Diestel mit der Verdrängung der Bürgerkomitees begann, nun mit der Vertreibung der Opfer der Stasi-Willkür vollendet? Die Unsensibilität mancher westlicher Politiker für die Befindlichkeiten der Ostdeutschen ist schon häufig beklagt worden, bei Herrn Pieroth trägt es nachgerade makabre Züge. Dieses Haus 1 ist für uns Ostdeutsche Symbol unserer selbsterrungenen Freiheit. Wir werden uns dieses Symbol nicht rauben lassen, auch nicht von jenen, die uns in den Tagen der »Wende« mit ihren wohltönenden Worten lobten. Wir ahnten schon damals, daß es ihnen weniger um unsere Freiheit, sondern weit mehr auf die Ausbreitung ihrer Macht ginge. Herr Pieroth leifert dafür nachträglich den Beweis. Hans Schwenke
(Siehe auch Seite 38)
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