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GASTKOMMENTARVerwilderung der Rechtskultur

■ Bis zum Beweis der Stasi-Vorwürfe gegen Fink hat die Unschuldsvermutung zu gelten

Der gestrige taz-Kommentar zum „Fall Fink“, dem vom Berliner Wissenschaftssenator fristlos gekündigten Rektor der Humboldt-Universität, ist betrübliches Beispiel für den Verfall unserer Rechtskultur. Die Argumentation läßt sich auf einen Satz reduzieren: Wer der Stasi- Mitarbeit beschuldigt wird und das — mehr oder weniger empört — leugnet, beweist damit seine Schuld. Mit dieser Argumentationsfigur ließe sich jeder Bürger dieses Landes als IM „entlarven“.

Der Protest der Angehörigen der Humboldt- Universität richtet sich zu Recht gegen das Verfahren. Über die Frage, ob Rektor Fink als IM für die Stasi tätig war, ist auf Basis des vorliegenden Materials schlichtweg kein Urteil möglich. Bis zum Beweis des Gegenteils aber hat in einem Rechtsstaat die Unschuldsvermutung zu gelten. Es geht nicht um den Vorwurf der Aktenmanipulation, sondern um voreilige Schlußfolgerungen und eine suspekte Terminierung von Veröffentlichungen. Was bisher als „Beweis“ vorliegt und Senator und Personalkommission zur Grundlage ihrer Entscheidung diente, ist dünn: Der Deckname „Heiner“ klingt eher verdächtig, weil die Stasi in der Regel zur Bezeichnung von IMs nicht gerade deren Vornamen gewählt hat. Daß in einem internen Schreiben des MfS die Rede davon ist, Heinrich Fink sei für die Behörde „erfaßt“ worden, sagt nichts darüber, ob als Mitarbeiter oder als Observationsobjekt. Der Umstand, daß fünf Bände mit Akten vernichtet worden sind, läßt noch keinen Rückschluß auf deren Inhalt zu.

Selbst wenn die Anschuldigungen noch belegt werden würden, änderte das keinen Deut daran, daß das Verfahren skandalös ist: auf dieser „Materialbasis“ einen gewählten Rektor — am Konzil vorbei — durch Entlassung aus seiner Professur zu kippen. Das ganze zwei Wochen vor den Rektoratswahlen, bei denen dieser dem Senator unbequeme Mann erneut kandidiert. Rektor Fink steht für den Versuch, die Erneuerung und Demokratisierung der Humboldt-Universität von innen her zu versuchen. Wie erfolgreich dieser Weg bisher war, darüber läßt sich streiten, aber das muß politisch entschieden werden, nicht dienstrechtlich.

Es geht in diesem Konflikt nicht um die Vergangenheit von Fink. Es geht darum, einen unbotmäßigen und populären Kandidaten für die Leitung der Universität auszuschalten. Gegen dieses Manöver setzen sich die Angehörigen der Universität zu Recht zur Wehr. Vordringlich in dieser Situation ist es, Persönlichkeitsrechte zu verteidigen und etwas gegen die Verwilderung der politischen und der Rechtskultur in diesem Land beizutragen. Walter Süß

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