GASTKOMMENTAR: Ein Katalog der Unsittlichkeiten
■ Apropos Gysi: Auch im Westen reizte das Anwaltsgeheimnis den Staat
Nur sehr Unbedarfte kann es erstaunen, wenn immer wieder neue Enthüllungen darüber zutage treten, daß in der verblichenen DDR entweder Anwälte persönlich oder Mitarbeiter ihrer Kanzleien Informationen aus der Vertrauenssphäre zwischen Anwalt und Mandant an staatliche oder anderweitig interessierte Stellen weitergegeben haben. Nach meinen Erfahrungen ist das Interesse staatlicher „Sicherheitsbehörden“ an dem Bereich, der durch das Vertrauen zwischen Anwalt und Mandant geprägt ist, systemübergreifend stark. Ich bin nie Anwalt in der DDR gewesen. Die Erfahrungen mit dem Rechtsstaat unter der Herrschaft des Grundgesetzes, hierzulande, könnten das Bild jedoch ein wenig relativieren:
Der Katalog der Unsittlichkeiten gegenüber der Vertrauenssphäre zwischen Anwalt und Mandant kann sich durchaus sehen lassen: Einschleusung von Vertrauensleuten des Verfassungsschutzes in Anwaltskanzleien, sei es als Angestellte, sei es als Referendare; Durchsuchungen von Kanzleien einschließlich der Sichtung von Akten unter strafrechtlichen Vorwürfen, die sich am Ende als haltlos erweisen; Abhören von Telefongesprächen und Gesprächen zwischen Mandanten und Verteidiger in den Straf- und Untersuchungshaft-Vollzugsanstalten; Kontrolle der Verteidigerpost; Bestellung von „Zwangsverteidigern“, also Anwälten, die nicht das Vertrauen der Mandanten, sondern das der Gerichte besitzen, und deren einziger Zweck darin besteht, das gesetzliche Erfordernis der Präsenz eines Verteidigers, gleich welcher Qualität und Rolle, zu erfüllen. Wenn man sich all diese Dinge ins Gedächtnis zurückruft, wird es kaum jemanden erstaunen, wenn in einem Staat, dessen Vollzugs- und Sicherheitsorgane überhaupt keiner rechtsstaatlichen, das heißt gerichtlichen oder parlamentarischen, Kontrolle unterliegen, die anwaltlich geheimgehaltene Vertrauenssphäre ebenso eine Farce war wie der überwiegende Teil der gerichtlichen Strafverfolgung.
Deshalb sollte man in den alten Bundesländern mit seiner moralischen Empörung haushalten. Klaus Eschen
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