GASTKOMMENTAR: Runter vom Roß, Grüne,
■ und heraus mit den Politleichen aus dem Keller!
Die Einschläge kommen näher. Frühere grüne Fraktionssitzungsprotokolle tauchen auf, weitere IMs werden gehandelt. Es stellt sich heraus: Mehrheitsbeschlüsse grüner Fraktionen und Bundesversammlungen gegen diejenigen, die für eine systemübergreifende Menschenrechtspolitik eintraten, fanden lobende Anerkennung in der Normannenstraße. Stasi-Helfer in den grünen Gefilden nahmen das Lob gern entgegen. Just zu diesem Zeitpunkt will der grüne Bundesvorstand Klarheit über frühere Stasi- und SED-Einflüsse auf grüne Politik — zwei Tage vor dem Länderrat und acht Monate nach dem Debakel von Neumünster.
In Neumünster wurde ein Bundesvorstand für die Grünen gewählt, der sich nicht dadurch auszeichnete, durch ein hohes Maß an Zivilcourage in früheren Jahren die Diktatur des Proletariats in Ostdeutschland und anderswo bekämpft oder zumindest ausdauernd hinterfragt zu haben. Vera Wollenberger oder Antje Vollmer hatten noch in Neumünster keine Chance. Wie sollte da Vertrauen zwischen den Bürgerbewegungen der ehemaligen DDR und der grünen Führung entstehen? Dabei ist dieser Vorgang nur symptomatisch für den Politikansatz der (traditionellen) Linken innerhalb der West-Grünen, die offene, tolerante und dialogische Politik heute noch als naiv abkanzeln. Dabei ist die Gelegenheit zu einem Neuanfang relativ günstig: Die Leithammel des ökosozialistischen Flügels sind entweder mit ihrer ökonomischen Alternative gescheitert (nicht einmal zum Führen eines Zeitungskioskes hat es gereicht, obwohl die Herren damals ganze Volkswirtschaften umgestalten wollten) oder sie basteln heute bei der PDS/LL an einer neuen (!) sozialistischen Utopie. Andere, Leute mit Karriereängsten, haben die Zivilcourage durch das sozialdemokratische Parteibuch ersetzt und die Grünen ohne Hoffnung auf bessere Zeiten verlassen.
Jetzt kommt es darauf an, wie entschlossen die West-Grünen die Politleichen des vergangenen Jahrzehnts aus dem Keller holen, um ein Signal für die ehedem Diffamierten und Vertriebenen zu setzen. Nur wenn es die Grünen schaffen, über ihren eigenen Schatten zu springen und sich vorbehaltlos dem breiteren Spektrum der Bürgerbewegungen im Osten und den früheren engagierten Unterstützern im Westen zu öffnen, wird das angestrebte Zukunftsprojekt Bündnis 90/Die Grünen eine ernstzunehmende politische Kraft werden. Voraussetzung dafür ist der unabdingbare Wille, den DDR- Balken aus dem eigenen Auge zu entfernen, bevor man auf manchen Splitter im heutigen Osten verweist. Runter vom Roß, Grüne! Heinz Suhr
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