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GASTKOMMENTARKronawitters Coming-out

■ Münchens OB glaubt: Der politische Verfolgte als solcher ist demütig

Gelangweilt haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, daß wieder einmal ein SPD-Oberbürgermeister — diesmal: OB Kronawitter, München — sein Coming-out in der Flüchtlingsfrage hatte. Zuständig für die Unterbringung von Flüchtlingen ist eigentlich der Freistaat Bayern. Die Kommune muß erst einschreiten, wenn das Land seiner Unterbringungsverpflichtung nicht nachkommen kann (oder will). Auf dieser Grundlage führte die Stadt München einen jahrelangen Rechtsstreit mit dem Freistaat bezüglich der Abnahmeverpflichtungen. Nachdem dieser nunmehr im Herbst 1991 verloren wurde, muß München zirka 250 Flüchtlinge pro Woche aufnehmen. Es sei durchaus zugegeben: für eine Stadt mit ungefähr 10.000 Obdachlosen nicht leicht. Dementsprechend mußte die Verwaltung auch über ihren bürokratischen Schatten springen und schnell und effektiv Unterbringungsmöglichkeiten auftun. Diese sind bisher auch gefunden worden.

Kronawitter hat sich sage und schreibe zwei der ad hoc errichteten Unterkünfte persönlich angesehen. Dabei gelang es ihm, Flüchtlinge als reine Armutsflüchtlinge zu entlarven: es wurde ihm etwa mitgeteilt, daß einige Flüchtlinge mit Hilfe von professionellen Fluchthelfern in die BRD gekommen sind und daß sie nicht apathisch aufs Essen warten. Damit ist für ihn klar: das sind reine Wirtschaftsflüchtlinge, denn der wirklich politisch Verfolgte ist zu Fuß durch die Sahara geflohen, hat das Mittelmeer durchschwommen, ist auf allen vieren über die Alpen geklettert und wartet dankbar auf seine Essensration. Kronawitters Argumentationen sind weitab jeden Sachwissens zur Flüchtlingsfrage. Es geht auch nicht um Inhalte. Die verwaltungstechnisch schwierige Unterbringungsfrage wird hochstilisiert zur „Katastrophe“. Damit ist die Diskussion dort, wo CDU/CSU sie haben will: die SPD-Kommunalpolitiker scheren aus der Parteilinie aus.

Die SPD konnte reaktionäre Politik schon immer besser verkaufen als die Reaktionäre selbst. Denn wer sich nach langer Gegenwehr überzeugen läßt, gilt als Garant für die Seriosität der Überlegung. So ist Kronawitter zum Kronzeugen für die Union geworden. Populist, der er ist, ahnt er, daß die SPD sich in der Asylfrage eine ähnliche Niederlage einhandeln könnte wie in der Frage der Mehrwertsteuererhöhung. Die Realpolitiker vor Ort entlarven die Parteilinie als reine Ideologie. Der Landtagswahlkampf 1994 läßt grüßen.

Auf der Strecke bleiben die humane Unterbringung von Flüchtlingen, die Anerkennung weltweiter Fluchtbewegungen als Tatsache und das Individualrecht auf Asyl. Siegfried Benker

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