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GASTKOMMENTARWir haben Zeit, Zeit

■ Die Haltung der SPD zum Krieg in Bosnien

Dem bosnischen Sarajevo droht das Martyrium des kroatischen Vukovar, und die deutsche Sozialdemokratie kündigt an, fest entschlossen zu sein, im diesjährigen Sommertheater die Rolle der Opposition ausfüllen zu wollen. Sah sich die SPD im Winter noch damit konfrontiert, über deutsche Blauhelme nachzudenken, muß sie sich jetzt schon mit Bundeswehreinsätzen out of area herumschlagen. Egon Bahr spricht von „komplettem Wahnsinn“ und Norbert Gansel rückt Außenminister Kinkel in die Nähe Kaiser Wilhelms. Man könnte meinen, die SPD hätte Angst, demnächst erneut den Kriegskrediten zustimmen zu müssen.

Und so bewegt sich der gute Geist der Sozialdemokratie im Stil einer Springprozession auf Karlsruhe zu. Gansel zwei Gänsefüßchen vor, Däubler- Gmelin ein Schrittchen zurück. Keine Frage, jetzt ist die Zeit für lange Debatten und Grundsatzdiskussionen, dafür müssen auch die in Saravevo eingekesselten Menschen Verständnis aufbringen. Während Herr Duve noch freimütig von „Völkermord“ spricht, weiß die Partei, wir haben Zeit, Zeit für politische Meinungsbildung und etwas pazifistische Traditionspflege.

Droht in Bonn wirklich ein Verfassungsbruch? Der äußerst scharf begrenzte Einsatz des Zerstörers „Bayern“ ist keine Kanonenbootpolitik à la Wilhelm Zwo, eher eine militärische Pantomime. Die deutsche Präsenz an der Andria ist aus Sicht der bosnischen Bevölkerung sicherlich nicht mehr als eine Demonstration der Solidarität mit den Blauhelmen. Für Frau Wieczorek-Zeul ist „die Gefahr der Verwicklung latent“, und Herr Bahr hört bereits das Rasseln mit fremden Säbeln. Indessen weiß Norbert Gansel, daß wir vor dem „Beginn einer neuen Epoche internationaler Politik stehen“.

Die UNO muß in Zukunft über die Mittel verfügen, das ihr angetragene Gewaltmonopol auch durchzusetzen. Darin könnte eine, wenn auch begrenzte Hoffnung liegen. Wir haben uns ans Zuschauen gewöhnt und wir schauen zu, wie die Serben die Abschreckungsarsenale des Kalten Kriegs gegen die Zivilbevölkerung einsetzen. Linke und sozialdemokratische Öffentlichkeit haben hierzulande lange genug gebraucht, um das zu verstehen. Wer wünscht, daß die UNO die Massaker im ehemaligen Jugoslawien beendet, dem kann man nicht so einfach mit Säbelrasselei und deutscher Vergangenheit kommen. Beim Anklopfen in Karlsruhe handelt es sich jedenfalls um ein Scheingefecht. Matthias Deutschmann

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