GASTKOLUMNE: Nichts geht mehr
■ Von der Schwierigkeit, in Bremen Politik zu machen / taz-Gastkolumne von Horst-Werner ("Thomas") Franke
Es wird Zeit, daß wir uns nichts mehr vormachen und die wahren Probleme des winzigen Bundeslandes Bremen ungeniert aussprechen, dessen Größenverhältnis zur übrigen Republik ein einheimischer Politiker einmal Fliegenschiß genannt hat. In Wahrheit leidet Bremen weder an Regierungsfilz noch an insuffizienter Opposition, obwohl sich beides zu bedingen scheint.. Bremen leidet vielmehr existentiell an seiner chronischen Finanzschwäche. Alle Diskussionen in Parlament und Öffentlichkeit, die etwa Fehlentscheidungen von Regierungsmehrheit und Senat für die Finanzmisere verantwortlich machen wollen, gehen an der Sache völlig vorbei. Genauso töricht sind sektorale Problemdiskussionen. Wenn etwa die Kulturlobby den Senat berennt und die Verdopplung des Kulturetats fordert, weil dann Bremen endlich mit ähnlichen Regionen gleichzöge, dann kreist in den Köpfen der Engagierten offensichtlich die Vorstellung, man müsse es einem bornierten Senat mit öffentlichem Druck endlich beibringen, daß Kultur eine andere Finanzierung brauche. Die Erkenntnis hat aber der Senat schon lange. Was ihm fehlte, fehlt und weiterhin fehlen wird, ist das nötige Geld. Es ist darum falsch, Hoffnungen zu wecken, es werde die Einsicht wachsen und das Geld kommen. Die Einsichten sind da, aber das Geld fehlt dauerhaft. Alle Sachdiskussionen sind darum Schattenboxen.
Selbstverständlich gilt das nicht nur für den Kulturbereich, nahezu jedes Ressort ist in einer hoffnungslosen Lage. Es gibt insgesamt keine Perspektive. Jeder Hinweis darauf, daß Bremen einst zu den reichsten Bundesländern gehört hat, verdeutlicht nur die gegenwärtige Misere. Die Quervergleiche mit anderen Bundesländern und Großstadtregionen zeigen, daß die Polster in öffentlichen Einrichtungen und Verwaltungen, die Bremen einst besessen hat, längst dahin sind. Jeder Vorwurf an den Senat, er stehe einer aufgeblähten Verwaltung vor, geht ins Leere. In einem für die Bundesrepublik beispiellosen Austerityprogramm ist der Umfang der öffentlichen Einrichtungen und der Verwaltung radikal heruntergefahren worden, sind bitter notwendige Investitionen gestrichen worden. Einstmalige Spitzenpositionen wie im öffentlichen Bibliothekswesen, in den Schulen, im Sozialbereich und im Gesundtheitswesen, sind verloren. Selbst der Hafen, Bremens althergebrachtes Lebenszentrum, braucht dringend mehr Geld, als er bekommt.
Die Wende zum Schlechten begann seinerzeit mit der Steuerreform durch die Große Koalition. Die Riesenzahl der Arbeitnehmer, die in Bremen ihr Geld verdienen, aber im niedersächsischen Umland wohnen - allein beim größten bremischen Arbeitgeber Daimler sind es vierzig Prozent der Beschäftigten —, ging dem bremischen Fiskus verloren. Der zugesicherte Ausgleich, der einen Milliardenumfang hätte haben müssen, ist nie gekommen. Auch Helmut Schmidt ließ die Hansestädter in ihrer Not allein. Über beide brach dann die Strukturkrise ihrer Wirtschaft herein. Die Werften starben. Bremen und Bremerhaven waren der größte deutsche Schiffbauplatz. Der Zweistädtestaat mußte mit der Krise allein fertig werden. Bonn setzte auf die sogenannten Selbstheilungskräfte des Marktes, was extreme Arbeitslosigkeit bedeutet hätte. Mit Landesmitteln, die es nicht gab, also mit gepumptem Geld, mußte Bremen die Krise meistern. Inzwischen liefert Bremen Tag für Tag nahezu zweieinhalb Millionen Mark bei den Banken ab, ohne daß sich damit seine Schuldenlast verringerte, die inzwischen die Milliardengrenze erreicht. Nichts läuft mehr richtig.
Für das Überleben der beiden Städte unabweisliche Bedarfe stauen sich auf. Um das Hochschulwesen einigermaßen auf dem Laufenden zu halten, müßten jährlich rund 50 Millionen DM investiert werden. Die Krankenhäuser verlangen inzwischen selbst für den Laien sichtbar einige hundert Millionen an Ersatz- und Modernisierungsinvestitionen. Die Kulturmisere ist bekannt. Überall rangiert Bremen mit seinen Aufwendungen am unteren Ende der Vergleichsskala. Wohnungsbau, Stadtentwicklung, Soziales und Jugend, die Liste ist lang. Es hat keinen Sinn, den Finanzbedarf sektoral zu diskutieren. Jeder, der mit besten Argumenten etwas fordert, scheitert an der Koalition der anderen, die leerausgehen müssen.
Im letzten Jahrzehnt, als eine Kürzungsrunde die andere jagte, gab es ein Durchhaltemotiv für das Sparen: Wir müssen die Durststrecke überwinden, Polster abspecken, irgendwann sind wir durch. Der Trost ist jetzt weg. Zwar steigen die Steuereinnahmen, aber die Schuldenlast wächst. Die finanziellen Spielräume im Haushalt fehlen wie eh und je. Die Soziallasten steigen rapide und überholen den Bildungshaushalt. Regierung ist Sisyphusarbeit geworden.
Bremen wird sich nicht auf Münchhausens Art retten. Ohne eine neue Finanzverfassung, die dem winzigen Stadtstaat das Überleben in der Föderation ermöglicht, geht es nicht weiter. Der Weg nach Karlsruhe, das war die Hoffnung, sollte dahin führen. Die Regierung des Saarlandes spricht es inzwischen offen aus, daß sie unter den gegenwärtigen Bedingungen an ihr finanzielles Ende kommt. Sie hat sich selbst dabei nichts vorzuwerfen.
Wenn je Geld leichtfertig ausgegeben worden ist, so sind die Fehler längst mehr als gut gemacht. Eine törichte Opposition verschleiert die Krise, wenn sie meint, ohne Affären a la Galla und mit weniger Asylanten sei Bremen zu retten. Das ist absurd.
Nach der Wahl vom 2. Dezember wird sich bald herausstellen, daß die neue Bundesrepublik eine neue Finanzverfassung braucht. Die neuen Bundesländer sind binnen kurzem pleite. Die gegenwärtige Wurstelei reicht gerade noch für ein paar Wochen. In die notwendige Diskussion um eine Reform an Haupt und Gliedern muß der Zweistädtestaat seine gegenwärtige Hoffnungslosigkeit deutlich einbringen.
Niemand braucht dabei Angst zu haben, an den Pranger zu kommen. Die Probleme, die Bremen und Bremerhaven meistern müssen, suchen in der bisherigen Bundesrepublik ihresgleichen. Natürlich erfährt Finanznot von Bundesländern eine neue Bewertung durch die Lage in der ehemaligen DDR. Wer seine Maßstäbe an den dortigen Verhältnissen eicht, wird auch Bremen und Bremerhaven anders beurteilen. Aber wir können nicht warten, bis zwischen Bremen und Mecklenburg-Vorpommern ein Niveauausgleich erfolgt ist.
Der Senat scheut vermutlich die offene Diskussion um die Finanzkrise der Freien Hansestadt, weil er fürchtet, daß die längst noch nicht abgeschlossene Diskussion um die Selbstständigkeit wieder auflebt. Auch wenn die Befürchtung richtig sein mag, muß um Bremens Zukunft offen diskutiert werden. Das Wissen um eine wirkliche Finanzkrise läßt sich ohnedies nicht in geschlossenen Zirkeln halten, und rigideste Sparprogramme sind nur für begrenzte Zeiträume praktizierbar. Sie sind keine Dauerlösung. Ein offensives Angehen ist für eine Problembewältigung allemal förderlicher. Eine heruntergespielte Finanzkrise kann zur Politikkrise werden, wenn sich bei den Betroffenen der falsche Eindruck festsetzte, wie jetzt bei der Debatte um die Kulturfinanzierung, Senat und Parlament müßten nur wollen.
Was die Selbständigkeit Bremens anbelangt, so wird sie nicht mit Ängstlichkeit verteidigt. Die Lage der Kleinen und des Kleinsten in der Föderation muß fordernd geklärt werden. Es wäre zynisch, wenn der Bund die Existenz auch von kleinen Bundesländern laut bejahte und ihnen insgeheim ihre Lebensfähigkeit abstritte. Es scheint aber, daß die Bundesregierung zynisch ist. Horst-Werner Franke, Ex-Kultursenator
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