G-8-Demonstranten planen 2009: "Genua war ein Einschnitt"
Trotz Angst wollen die Opfer von Genua auch beim nächsten G-8-Gipfel in Italien 2009 wieder protestieren.
BERLIN taz Über die Stirn von Jens Herrmann zieht sich eine helle Narbe. Sie ist immer noch da, nach über sieben Jahren, auch nachdem er 5.000 Euro zugesprochen bekommen hat. So hoch ist die Entschädigung, die der Großteil der G-8-Gegner erhalten soll, die, wie Herrmann, 2001 in Genua bei einer Polizeirazzia in einer Schule zum Teil schwer verletzt wurden.
"Genua war ein Einschnitt", beschreibt Aktivist Herrmann die Auswirkungen der Gewalt bei einem Pressegespräch am Freitag in Berlin. Im nächsten Jahr findet der G-8-Gipfel erstmals seit den Ausschreitungen in Genua wieder in Italien statt - und auch der alte Regierungschef ist wieder da: Silvio Berlusconi. Auf der kleinen Insel La Maddalena vor Sardinien wird das Treffen stattfinden, abgeschirmt von Demonstranten.
"Es wird auf jeden Fall Proteste geben", sagt Alexis Passadakis von Attac. "Uns ist aber nicht klar, ob wir die Leute zu großen Demos mobilisieren sollen." Angesichts der "faschistischen Tendenzen" in der Regierung Berlusconi herrschten bei Attac große Befürchtungen. "Eine erfolgreiche Repression", nennt Jens Herrmann das Vorgehen der italienischen Polizei. Es sei ein traumatisierendes Erlebnis gewesen: "Ich schätze den Staat Italien jetzt anders ein." Er wolle sich nicht davon abhalten lassen, weiter an Protesten teilzunehmen. Noch einmal bei Protestaktionen in einer Schule zu übernachten, käme für ihn aber nicht infrage.
Auch Valeria Bruschis Einstellung zu Protesten hat sich verändert: "Ich habe Angst", sagte die Aktivistin. Wie Herrmann erinnert auch sie sich daran, wie die italienische Polizei am 21. Juli 2001 die Diaz-Schule stürmte, rücksichtslos gegen die meist Schlafenden vorging, sie verprügelten und schließlich alle der 93 Anwesenden festnahmen.
Kürzlich waren die beiden Aktivisten mit anderen Opfern in jenem italienischen Gericht, das das Urteil über die damals prügelnden Polizisten verkündete. Nur 13 der 29 angeklagten Polizisten wurden verurteilt - nur die unmittelbar ausführenden Beamten. Die Einsatzleiter, die ebenfalls vor Ort waren und zwei Molotowcocktails mitbringen ließen, um den Überfall zu rechtfertigen, wurden freigesprochen. Auch ob die Verurteilten ihre Freiheitsstrafen antreten müssen, ist fraglich. Die Polizisten können Berufung einlegen, um Zeit zu gewinnen: Körperverletzung ist im Januar verjährt.
Hans-Christian Ströbele, der für die Grünen im Bundestag sitzt, ist über dieses Urteil empört. Ströbele war 2001 gleich nach den Festnahmen nach Genua gefahren, wo er mit den Opfern und der Justiz sprechen konnte. Er sei zunächst überrascht gewesen, dass auch hohe Beamte angeklagt wurden. Nach dem jetzigen Urteil fühlt sich der Politiker jedoch hereingelegt: "Ich erwarte von der Regierung Berlusconi, dass sie sich gegenüber den Opfern erklärt", forderte Ströbele.
Rechtsanwältin Eva Lindermaier, die die Opfer der Polizeiaktion als Nebenkläger vertrat, erklärte, dass ihre Mandanten für eine höhere Entschädigung weiter klagen wollten. Ein solches Zivilverfahren kann aber erst nach Ende des Strafverfahrens eröffnet werden - durch die erwartete Berufung der Polizisten könne sich dies noch Jahre hinziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service