piwik no script img

Futurzwei-Erfinder Harald WelzerÖkomoral als große Erzählung

Der Sozialpsychologe Harald Welzer und Futurzwei-Erfinder fragt sich: "Wie geht eine Politik des guten Lebens?" Jedenfalls nicht mit der Drohung, bald komme es zur Apokalypse.

Bewusstseinsveränderer Harald Welzer Bild: Volker Wiciok/ Lichtblick

Gleich räumt er ein Missverständnis aus: "Gutmenschentum?" Mit diesem möchte Harald Welzer, so fängt er das Gespräch an, nicht gemein gemacht werden, jedenfalls nicht in dem abfälligen Sinne, wie gewöhnlich diese Vokabel ausgesprochen wird. Seine Botschaft ist so schlicht wie wuchtig ernst zu nehmen: "Man kann was tun!" Und: "Es gibt Handlungsspielräume. Immer."

Der Mann ist Sozialpsychologe, er kennt sich aus in den Wirren menschlichen Handelns, besser: Weshalb erwachsene Männer und Frauen nicht tun, was für alle klug wäre. "Wir wissen genug", sagt Harald Welzer, der Mann, der Dienstag in Berlin die Internetplattform futurzwei.org im Instituto Cervantes vorstellte, "aber handeln nicht entsprechend."

Konkret heißt das, so findet Welzer: Das Wissen über die Not, Ökonomie nur noch in den Kategorien von Nachhaltigkeit und Folgeschäden zu diskutieren, ist flächendeckend verbreitet - aber der Konsum steigt, es wird wie eh und je gekauft, was gut und schön und je nach finanzieller Lage möglich ist.

Stichwortgeber wichtiger Diskurse

Der Mann, der inzwischen zu den Stichwortgebern der wichtigen Diskurse hierzulande zählt, hat sich bekennenderweise aus dem akademischen Leben seiner Disziplin zurückgezogen; er arbeitet noch an den Universitäten Flensburg und St. Gallen, aber eben für sein neues Thema: Der Klimawandel - und dessen politische, soziale und psychologische Folgen und Begehren. Welzer ist ermüdet vom Universitären, das zu politischen Impulsen nicht mehr fähig sei. Nun sei er gern ins eher Aktivische gewechselt.

In Berlin hat er die Internetplattform futurzwei.org ins Leben gerufen; eine, wenn man so will, Geschichtenbörse vom Gelingen des Neuen, des Ökologischen, des, vornehm gesagt, Paradigmenwechsels. Die Leute mögen Geschichten vom Guten, solche mit Happy End - und ebendiese werden auf dieser Seite erzählt. Man könnte diese als wahre Märchen einer aufzubauenden neuen Welt nennen, Begebenheiten von Unternehmern, einzelnen Personen oder Initiativen, die nichts berichten als: So haben wir angefangen mit dem guten Leben, mit dem Neuen.

Harald Welzer, der so schön auf Podien zu streiten vermag und ungern nötigen Konflikten aus dem Weg geht, mag depressives Sprechen über den Klimawandel nicht. Konferenzen wie in Kopenhagen, Durban oder Kioto. "Nichts kommt dabei heraus - die heimliche und unheimliche Botschaft lautet immer: Nichts ist möglich - denn wir beschließen nichts." 20.000 Menschen träfen sich, und alle wüssten, dass ohnehin keine tragfähigen Abkommen erzielt werden.

Sowieso könne es doch nicht allein um die Minderung des Kohlendioxid-Pegels gehen; dass der so exorbitant gestiegen sei, sei nur ein Symptom. "Aber nicht das Problem sui generis!" Der Konsum, die unendliche Verschleuderung von Rohstoffen, die Vermüllung - an diesen Befunden müsse gearbeitet werden.

Woran es fehle, wäre nach Harald Welzer sehr simpel zu benennen: gesellschaftlicher Druck, der die Dinge des schlechten Lebens ändert. Könnten Verbote nicht viel wirksamer sein? Welzer gibt zu: "Ja, klar sollten SUVs verboten werden, diese Kampfwagen gegen das Weltklima." Allein: Noch fehle es an allgemeiner Akzeptanz für eine solche strikte Politik.

Am Ende würde noch eine Tea Party für die Freiheit, solche Automobile fahren zu dürfen, gegründet. "Eine Katastrophe" - also kontraproduktiv. Aber ist er nicht selbst Liebhaber des Autos? Ja, er bekennt es. Und hat er seine Autos verkauft? Nein. Er behält sie lieber für sich, sonst würden, ohne Scherz, andere damit die Umwelt belasten!

Was die Sache ist, worauf es ankomme für eine Ökomoral als große Erzählung des 21. Jahrhunderts, ist: sich stetig gegen die dominierende Erzählung zu wenden, die vom Konsum, vom Immer-mehr, Immer-feiner, Verzicht-ist-doof. Er, Harald Welzer, sei noch nie in Südamerika oder Australien gewesen. Er müsse da nicht hin, aus ökomoralischen Gründen. "Das ist doch ein historischer Sonderfall, dass plötzlich alle Weltgegenden zu bereisen möglich sind. Ich muss das wirklich nicht."

Produkt hysterischer Besorgnis

Vielleicht muss man sich die Idee des Harald Welzer so vorstellen: Noch vor anderthalb Generationen war das Rauchen von Zigaretten überall möglich, auch Wohlhabende und Wohlhabendwerdende qualmten, als sei es die Luft der Freiheit. Fernsehserien wie "Mad Men" aus den USA zeigen dies sauber historisiert oder der deutsche "Kommissar" als Dokument einer schwarzweißen Epoche.

Inzwischen, der beinah fast hysterischen Besorgnis um Gesundheitliches wegen, ist Nikotin verpönt; wer raucht, gibt sich als unterschichtig-verantwortungslos zu erkennen. Und das alles nicht, weil Zigaretten teurer wurden, sondern weil es als moralisch anstößig gilt. In Sachen Alkohol ist eine ähnliche Entwicklung im Gange.

Und so soll es wohl auch in puncto Ökomoral laufen: Durch Initiativen wie Futurzwei den westlichen Stolz auf Rechtsstaat, Demokratie und halbwegs funktionierende Ökonomie zu ergänzen um die kollektive Fähigkeit, auf den Konsum des Immer-mehr zu verzichten. Warum? Harald Welzer sagt: "Weil es möglich ist. Weil die Entwöhnung auch guttun kann."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • A
    Abo

    Der Artikel in der gedruckten taz hat mir besser gefallen -

    deutlich mehr Inhalte!

  • H
    hundehütte

    War soeben auf der Internetseite des Professors. Ich musste mich dazu verpflichten, eine der Geschichten, die sich jeder ansehen kann, wenn er in die Verpflichtung einwilligt, weiter zu erzählen. Habe selten eine so schlechte Werbekampagne für Nachhaltigkeit gesehen, wie auf dieser Internetseite. Nun gut, man mag davon ausgehen, dass in dieser Gesellschaft nur derjenige besteht, der sich selbst gut darstellen kann und schon deshalb über geeignetes Werbeinstrumentarium verfügen muss, falls man das nicht schon über die Gene mitbekommen hat. Aber geht es noch dilettantischer? Die Geschichte, die ich hier weiter erzähle, ist die Geschichte von Christiane Paul, die ich als Schauspielerin sehr verehre aber inzwischen als Werbeträger nicht mehr ernst nehme. Sie ist mit einem Kollegen unterwegs. Das Setting, das Naturkundemuseum in Berlin, inmitten der Dinosaurier ist schon interessant und der Kollege vertritt die Dinosauriermeinung, dass Hartz IV Empfänger sich Öko gar nicht leisten könnten. Wie immer im Leben muss, wenn es interessant sein soll, eine Gegenmeinung her, die Christiane Paul nicht vertritt aber so in den Raum stellt. So wie meine Frau eben, wenn die mir zu verstehen gibt, woher weißt du das und ich mich direkt genötigt fühle meine Meinung mit harten wissenschaftlichen Fakten zu untermauern. Aber dies geschieht in diesem Fall nicht. Frau Paul ruft den Experten vom Ökoinstitut an, der ihr bei ihrem Gegenargument helfen soll. Und schon argumentiert der Experte mit der Meinung, dass der ökologische Fussabdruck des Hartz IV Empfängers ungleich günstiger sei als derjenige des reichen Bundesbürgers, der von einem Ort zum anderen reisen muss, um sein Geld zu mehren. Ich würde der Grünen Partei unter diesen Umständen doch vorschlagen, als Höchstlohn in der Republik den Hartz IV Satz zugrunde zu legen. Dass der Partner von Christiane Paul nicht alles als satirischen Scherz genommen hat sondern ernsthaft dieses Argument in seinem Herzen hin und her wirken ließ, war dann die Krönung der Absurdität. Hier kann ich nur mit Judith Holofernes die Reklamation anmelden: „Es war im Ausverkauf im Angebot die Sonderaktion//Tausche blödes altes Leben gegen neue Version//Ich hatte es kaum zu hause ausprobiert da wußte ich schon//an dem Produkt ist was kaputt- das ist die Reklamation.“. Wünsche allen viel Vergnügen mit der Internetseite des Nachhaltigkeitsprofessors.

  • A
    AntiFunt

    Und rechtsextrem war Stalins Schöpfung, deine Aussage?

  • S
    Sepp

    das schöne Wort Gutmensch war übrigens eine Erfindung der Nazis.