: Futtern wie Gott im Fernsehen
Zumindest am Wochenende wollen wir gut essen, als Ausgleich für all die Schnellgerichte unter der Woche. Nur: Wir können nicht kochen! Ob ein Kochkurs hilft?
von PHILIPP LÖHLE
Es ist Freitagabend, man sollte meinen, da haben die Leute Besseres vor, als sich übers Kochen belehren zu lassen. Doch am Fuße der Treppe im hinteren Eck eines Bioladens in Berlin-Steglitz sammelt sich eine ganze Schar Menschen. Auf einem Schild steht: „Bitte warten Sie hier und nehmen Sie sich ein Glas Prosecco.“ Ich will den Prosecco auf keinen Fall auslassen, kippe mir den Rest aus beiden Flaschen in ein Glas und trinke es leer. Die anderen Teilnehmer schauen missbilligend und folgen einer Dame mit Schürze ins obere Stockwerk. Schnell ihnen nach.
Dort steht auf der einen Seite ein schön gedeckter Holztisch, auf der anderen gibt es zwei Küchenzeilen mit Gasherden, Ceranfeldplatten und Grill. Ich setze mich und stelle fest, dass die Prosecco-Flaschen mit hochgewandert sind. All die Hektik umsonst – so was! Ich schenke mir noch einmal ein.
Wenn man den Ernährungswissenschaftlern glauben darf, ist das Verhältnis der Deutschen zum Kochtopf kein ganz einfaches, es ist sogar ambivalent. Da stopft man die ganze Woche über nur Fastfood und Convenience-Produkte in sich hinein, und am Wochenende veranstaltet man mit Freunden das große Kocherlebnis. Essen verliert und gewinnt an Wert, gleichzeitig. Wer die Woche über von morgens bis abends von Kochshows zugeschwatzt wird, wer in jeder Zeitung mit Rezepttipps regelrecht an den Herd genötigt wird, fühlt sich verpflichtet, sich wenigstens am Wochenende etwas Gutes zu tun. Das Problem: Man kann nicht kochen!
Meine Kurskollegen sind alle Mitte dreißig, nur ein älterer Mann mit viel Bart humpelt an mir vorbei. Mir scheint, außer ihm und mir sind alle in Begleitung erschienen. Nicht kochen kann man wohl nur zu zweit! Mitten ins allgemeine Getuschel beginnt die Frau mit der Schürze zu reden. Die Worte sprudeln gleichmäßig aus ihr heraus, sie wirkt distanziert freundlich, ihr Ton ist professionell gedämpft. Ab und zu lässt sie Fachausdrücke einfließen, wie à la minute oder à point. Wir sollen Teams bilden und uns eines der ausliegenden Rezepte annehmen. In den nächsten Stunden folgen abwechselnd Kochen und Verspeisen eines Gangs.
Das ganze Interieur, die wunderbar bunten Zutaten, der glänzende Herd und der noble Tisch zeigen die Evolution der Kochkurse. Was früher aus angehenden Hausfrauen brauchbare Ehefrauen machen sollte, ist jetzt ein Event, ein Geschmackserfahrungserlebnis. Fun, Fun, Fun.
Ich finde mich neben dem humpelnden Bärtigen wieder. Wir bereiten Pesto vor. Schon bei der Aufgabe, Petersilie zu zupfen, wendet sich mein Kochpartner an Sebastian, den Assistenten der Kursleiterin. Sebastian ist der Einzige, der hier einen Namen hat. Kein anderer wurde vorgestellt oder tut dies von sich aus. Sebastian kann die Frage des Bärtigen nicht beantworten. Er ist kein Koch, er spült nur unsere dreckigen Teller.
Während der Bärtige zur Kursleiterin humpelt, um sie zu fragen, was „zupfen“ genau meint, reibe ich üppig Peccorino und rupfe ungestüm Basilikum. Egal wie es aussieht. Die Vorbereitung der Zutaten dauert nicht lange. Deshalb sehe ich zwei Schwaben zu, wie sie Krabben entdarmen. Der eine hat eine Stirn bis zum Hinterkopf, der andere schlimme Zähne, doch sie finden sich gut. Über ihre Tätigkeit folgen einige vorhersehbare Witze. Ich lache anstandshalber und überlege, ob die beiden vielleicht schwul sind.
Dann gehe ich zur Kursleiterin hinüber, die gerade zwei Damen erklärt, wie man Mascarpone in eine Schüssel gibt. Sie unterbricht ihren Monolog und fragt, was sie für mich tun könne. Ich komme mir grundlos ertappt vor und sage, mich würde das auch interessieren. Sie lächelt verwirrt und erklärt noch motivierter weiter. Danach kümmere ich mich wieder um das Pesto und beginne, die Haselnüsse grob zu hacken. Der Bärtige soll ebenfalls grob hacken, allerdings Mandeln. Nur weiß er nicht, was mit „grob“ gemeint ist.
Vor mir kämpfen zwei Freundinnen mit einem großen Kürbis, den sie schälen und in Stücke schneiden sollen. Die beiden rufen die Schwaben zu Hilfe, und ein erster Flirt entsteht. Ich frage mich, mit wem ich am ehesten flirten würde, und entscheide mich für den Kürbis. Ob es für Sex mit Früchten ein lateinisches Fremdwort gibt?
Eine der Freundinnen rutscht auf einer Kürbisschale aus, die Schwaben werden beschimpft, das Gelächter ist groß. Der Umgang mit dem Kürbis bestätigt, dass der Mensch den Zugang zu Nahrungsmitteln völlig verloren hat. Im Vergleich zu den Achtzigerjahren werden 30 Prozent mehr Geld für Essen außer Haus ausgegeben, für Fastfood sogar 200 Prozent. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Kartoffeln hat sich dagegen in den vergangenen 30 Jahren mehr als halbiert. Der Kürbisverbrauch wurde wahrscheinlich nie gemessen.
Die Kursleiterin ruft uns zusammen. Die Schwaben kochen jetzt Pasta mit Krabben, Weißwein und Chili. Interessiert schauen alle zu. Es wirkt einfach. Die Köchin erklärt alles Mögliche zu Krabben und bittet, mit dem Chili vorsichtig zu sein.
Der erste Gang wird serviert: ein Kringel Pasta auf einem kleinen Tellerchen, mit der eben zubereiteten Soße. Vor lauter Hunger esse ich das bisschen Pasta – es schmeckt leicht fade, zu wenig Chili – mit drei Scheiben Oliven-Ciabatta. Alle sind begeistert. Es gibt Weißwein. Der Schwabe mit den schlechten Zähnen sagt immer wieder: „Toll!“, wie es nur Schwaben sagen. So von unten hoch. Das Gespräch beschränkt sich auf das Essen. Die eine der beiden Freundinnen – sie trägt Zöpfe wie Pippi Langstrumpf – gibt sich als Weinkennerin aus und erklärt ihrer Freundin den Weißwein. Wir räumen die Teller ab. Auf einem fehlen nur die Krabben, die Nudeln sind noch da. Wer wohl einen Pastakurs macht und keine Nudeln mag?
Der zweite Gang ist Pasta mit Fisch. Er heißt Pangasius. Niemand kennt dieses Tier. Es ist ein wenig wie bei den Anonymen Alkoholikern, man hört auf, sich zu verstecken, und steht zu seiner Unwissenheit. Der Fisch ist lecker. Alles jubelt. Die Soße, viel Butter mit Petersilie, ist herrlich. Den dritten Gang bestreiten der Bärtige und ich. Unser Pesto ist dran. Das Interesse hat nachgelassen. Die Schwaben schauen nur aus der Ferne zu. Pippi Langstrumpf hat die Zöpfe gelöst und nun eine Frisur, die einer 35-Jährigen entspricht. Der Mixer soll aus Kürbiskernen, Rucola, Parmesan und Öl Pesto machen, aber er streikt. Die Kursleiterin lässt sich nichts anmerken. Sie kippt Unmengen Öl in den Brei, säuselt, man müsse immer individuell auf die Maschinen eingehen. Schließlich greift der Mixer, und es sieht ziemlich schnell nach Pesto aus. Die Leiterin gibt weiter Öl hinein. Viele Leute würden sich wundern, wie viel Öl in Pesto sei, und dieses Arganöl koste 25 Euro den halben Liter. Wow.
Auf dem kleinen Teller liegen jetzt zwei Kringel Nudeln. Der eine mit Kürbiskern-Pesto, der andere mit Haselnuss-Basilikum-Kapuze. Wir trinken Rosé. Pippi erklärt, warum sie den Wein nicht so gut findet. Der Bärtige bevorzugt den Weißwein. Die Schwaben sagen: „Toll!“ Ich finde den Rosé so gut wie den Weißen. Langsam bin ich satt, trotz der kleinen Portionen. Eine schüchterne Blonde mit Krähenfüßen um die Augen ist jetzt mit Kochen dran. Später sagt sie, sie sei allein da, weil sie den Kochkurs verschenken und vorher testen wolle. Man glaubt ihr nicht so richtig. Sie wirkt einsam. Ihre Aufgabe ist die „schnelle Tomatensoße“. Ich denke, für Tomatensoße muss ich wirklich keinen Kochkurs machen, und bleibe am Tisch sitzen. Der Wein schmeckt.
Eine Diskussion kommt auf, wie lange man in Berlin wohnen müsse, um ein echter Berliner zu werden. Der Bärtige wohnt schon seit 40 Jahren hier. Er erzählt, wie er sich in jungen Jahren in die Stadt verliebt hat. Seine Augen fangen an zu leuchten. Eine der Freundinnen wohnt auch schon seit 17 Jahren in Berlin, die andere ist hier geboren. Sie nennt sich selbst eine Kleinstädterin. Sie sei immer nur in Steglitz und Zehlendorf unterwegs. Die anderen Stadtteile mag sie nicht so. Selbst heute noch fahre sie nie nach Ostberlin; die Schwaben stimmen ihr zu: „Wann kommt man schon mal nach Prenzlauer Berg oder Pankow.“ Ich schweige und denke an meinen Nachhauseweg in einen dieser Stadtteile.
Die Weißweinflasche ist leer, das Gespräch beendet. Wir stehen auf und schauen der „schnellen Tomatensoße“ zu. Sie ist nicht besonders spannend. Das Reduzieren der Soße besteht darin, dass sie zehn Minuten vor sich hin köchelt. Was daran schnell sein soll, bleibt ungeklärt. Der Bärtige hat inzwischen Sebastian auf die Suche nach einer weiteren Flasche Weißwein geschickt; wir anderen freuen uns auf tintenschwarzen Rotwein zur Tomatensoße.
Die Soße ist nicht schlecht, aber auch nicht außergewöhnlich. Alle sind leicht angeschwipst. Ich höre mir widerwillig an, wie die beiden Schwaben von Pippi und ihrer Freundin angegraben werden. Es geht darum, nackt in Schürze zu kochen. Ich habe Bilder im Kopf, die ich nicht sehen will. Die beiden Schwaben outen sich als verheiratet. Trotzdem fühlen sie sich geehrt. Es glitzert in vier Augenpaaren.
Der Bärtige leert weiter Weißweingläser, und ich bekomme eine Ahnung, warum seine Nase groß und rot ist. Was er in Berlin mache, frage ich ihn. „Was kann man schon mit Philosophie und Germanistik machen?“ Lehrer, rate ich, und er nickt stumm, als sei es eine Schande. Man kann jeden Kursteilnehmer fragen, was er macht, bekommt aber nie Gegenfragen. Mit leicht schwerem Kopf sehe ich in die Runde und entdecke nur einen Mann, der nicht so glasig schaut: der Mann, der den Pangasius gekocht hat. Er unterhält sich sehr zögerlich mit seinem Gegenüber. Am Ende des Abends erfahre ich, seine Frau hat ihm den Kurs geschenkt, deshalb ist er allein da und trinkt nichts, weil er noch fahren muss. Nicht-Mittrinken kann einsam machen. Ob sich seine Frau mit dem Kurs für etwas rächen wollte?
Es folgen zwei weitere Nudelvariationen. Eine davon mit Entenbrust. Während die Ente kocht, frage ich die Kursleiterin, wie sie zu dem Kochkurs gekommen sei. Der Bioladen gehört ihr nicht, und sie ist auch keine professionelle Köchin. Sie hat eine Ausbildung als Hotelfachfrau und lange in Hotels der höheren Kategorie gearbeitet (daher der Säuselton). Jetzt macht sie seit einigen Jahren Kurse dieser Art. Außerdem schreibt sie an einem Biokochbuch. Die Ente schmeckt hervorragend. Deshalb presst man sie in den voll gestopften Bauch.
Nach der Ente kommt der absolute Kalorienhammer. Nudeln mit Mascarpone. Die Soße ist zwar fantastisch, und das Fett des Mascarpone bringt allen Geschmack noch mal besonders zur Geltung, aber es ist in diesem voll gefressenen Zustand eine ziemliche Bombe. Alle sind hellauf begeistert. Das „Toll!“ der Schwaben kommt sogar mehrmals. Von allen bekommen die Mascarponenudeln die Goldmedaille des Abends. So einfach sind die Gemüter zu begeistern. Wozu Ente, Krabben oder Pangasius auffahren, wenn eine im Backofen warm geweichte Mascarponecreme solche Lorbeeren einfährt? Wieder bestätigt sich, dass heutzutage die Geschmacksnerven völlig verkümmert sind. Das viele Fastfood lässt normal gewürzte Speisen fad erscheinen.
Nachdem die Teller jubilierend geleert wurden, folgen Kommentare wie „Der Ranzen spannt“ oder „Für dieses Jahr reicht’s“. Ich frage die Kursleiterin nach einem Schnaps oder Espresso und werde von den anderen angeschaut, als hätte ich Bunjee-Jumping vorgeschlagen. Man tuschelt sich zu: „Er hat nach einem Schnaps gefragt …!“
Die Kursleiterin mahnt, den letzten Gang nicht zu vergessen, denn nun sind die beiden Grazien mit ihrem Kürbiskuchen dran. Unter anzüglichen Sprüchen der Schwaben begeben sich Pippi und die Kleinstadtfreundin an den Backofen. Keiner kommt mit. Niemand fühlt sich in der Lage, sich zu bewegen. Die Nase des Lehrers leuchtet jetzt fast. Er erzählt euphorisch von einem Italiener, der ihn in seinem Ferienhaus mit 5-Liter-Plastikfässern Grappa versorgt. Vielleicht ist das so, als Lehrer. Im Ruhestand. Oder er trinkt eben gerne.
Ich auch, und mein Rotweinglas ist pünktlich zum Kürbiskuchen geleert. Vor mir liegt ein dunkelbraunes, mit Puderzucker bestreutes Brikett. Ich lasse mir Wein nachgießen, und der Schwamm in meinem Kopf versucht, sich Kürbis als Süßspeise vorzustellen. Das extreme Völlegefühl bestärkt mich darin, den Kuchen auszulassen. Die Kursleiterin erläutert irgendetwas, doch es dringt nicht mehr zu mir durch. Plötzlich vernehme ich aus allen Richtungen belobigende „Mmmms“. Wider Erwarten ist der Kuchen eine Wucht. Er dehnt zwar meinen Magen auf nie da gewesene Größe, doch ich esse mit Begeisterung. Er schmeckt kaum nach Kürbis, jedenfalls nicht so, wie ich es mir ausgemalt hatte, sondern süß und lecker.
Tatsächlich wird nun Grappa aufgefahren, werden Espressos verteilt. Die kleinen Gläser füllen sich mehrmals hochprozentig, der nicht trinkende Ehemann verabschiedet sich. Sebastian widmet sich einem riesigen Stapel Geschirr; die Teilnehmerschar dünnt aus. Alle bekommen wir eine kleine Mappe mit den Rezepten, geben unsere Schürzen ab und bedanken uns bei Sebastian und der Kursleiterin. Es fühlt sich ein wenig schäbig an, überfressen und ziemlich betrunken vor einer stocknüchternen, steifen Hotelfachfrau und ihrem Adlatus zu stehen.
Es ist etwa Mitternacht, als der Bärtige und ich ins Freie torkeln – und er in sein Auto steigt! Ich bin froh, ein wenig Fußweg vor mir zu haben, ehe ich, mehr liegend als sitzend, um meinen Bauch zu entlasten, mit der S-Bahn nach Hause fahre. Ich weiß nicht, ob ich etwas über Ernährung gelernt habe oder ob ich jetzt immer im Bioladen einkaufen werde. Es ist wie mit einer Kochsendung: Man schaut es sich an, aber kocht sowieso nichts nach. Nur das Völlegefühl wird mich noch die nächsten zwei Tage begleiten.
PHILIPP LÖHLE, 27, ist freier Autor in Berlin