Fußballstars verlassen Italien: Ciao, bellissima!
Nun flüchtet auch noch die Milan-Ikone Kaká aus Italien: Reihenweise verlassen die Fußballstars die Serie A. Die ehedem einmal beste Liga der Welt steckt in einer tiefen Sinnkrise.
PALERMO taz | Vorweg sei gesagt: Silvio Berlusconi trifft dieses Mal keine Schuld. Oder so gut wie keine. Doch so darnieder, wie die Politik im Land der einstigen Cäsaren und Tribunen liegt, so schlecht ist es auch um den Fußball bestellt. Erst wurden im Frühjahr die Serie-A-Vereine ganz humorlos in der ersten K.-o.-Runde aus der Champions League gekegelt. Doch kaum kommt der Sommer, da verschwinden ausgerechnet jene Stars aus der Liga, die es im nächsten Lenz richten sollten, einfach von der Bildfläche. Sie heuern auf jenen Fußball-Fregatten an, die ihnen eher ein Einlaufen auf glorreichen Champions-League-Gewässern garantieren können als die grob gezimmerten Schaluppen im Lande des immer noch amtierenden Weltmeisters.
Die Milan-Ikone Kaká, das steht seit Montagnacht fest, geht zu Real Madrid. Dort wird der Brasilianer in den nächsten sechs Jahren insgesamt 60 Millionen Euro kassieren. Sein junger Sturmkollege und Landsmann Pato wird vom FC Chelsea umworben. Und Torschützenkönig Zlatan Ibrahimovic von Inter Mailand zieht es nach Spanien. "Barcelona spielt einen tollen Fußball", schwärmt der bosnische Schwede. Ihm war in der letzten Saison der Rumpelfußball seiner schwarz-blauen Kollegen gehörig auf die Ketten gegangen. Ibrahimovic aber will internationale Glanzlichter setzen, da wäre eine Flucht auf die Iberische Halbinsel nur logisch. Hinzu kommt: Seine Schweden wird auch ein Ibra in interstellarer Form kaum noch zur WM in Südafrika ballern können. Inter-Besitzer Moratti wurde schon zu Verhandlungen in Barcelona gesichtet.
Kaká bei den Königlichen, Ibrahimovic im Ballkünstler-Paradies, Pato womöglich in der Premier League, die Brasilianer Adriano und Ronaldo weiter im heimatlichen Kickerseelen-Regenerationspark: Den Sammlern von Fußballerbildchen gehen in Italien die Objekte der Begierde verloren. Da hilft nur noch Galgenhumor: "Mit unserem Fußball-Export belasten wir die Bilanzen unserer härtesten Gegner", versuchte ein Kolumnist der Gazzetta dello Sport sich und seinen Lesern Mut zu machen.
Die Stars greifen mit ihrer Flucht eine Tendenz auf, die die Jugend schon längst verinnerlicht hat. Wer sich auf Italiens Nachwuchsbolzplätzen einen Namen verschafft hat, sucht, so schnell es geht, das Weite. Mehrere Dutzend 15- bis 17-Jährige wagten in den letzten drei Jahren den Sprung ins Ausland. Besonders hoch ist die Dichte an ballgewandten Gastarbeitern vom Stiefel in England. Clubs wie Chelsea, Arsenal und Manchester United bieten saftige Gehälter, einen Platz an einer Fußball-Akademie, Englischunterricht und zudem noch den mitreisenden Vätern Jobs als Gärtner, Chauffeur oder Pförtner.
Außerdem erhalten die Jungprofis in England schneller die Möglichkeit, sich im Ligabetrieb auszuzeichnen. Jüngstes Beispiel ist der 17-jährige Federico Macheda. ManU-Coach Alex Ferguson hat den gebürtigen Römer in der Schlussphase der vergangenen Saison vier Mal eingesetzt. Zwei Mal dankte dieser das Vertrauen mit Toren. In Italien hätte er auf solche Erfolgserlebnisse wohl noch Jahre warten müssen. Davide Santon, 18-jähriger Außenverteidiger bei Inter Mailand, führt seinen eigenen tollen Karrierestart in der abgelaufenen Spielzeit übrigens auch auf einen Ausländer zurück. "Ich habe Glück, dass Jose Mourinho mein Trainer ist. Unter einem italienischen Coach hätte ich bestimmt nicht so viel Spielpraxis erhalten", beschreibt er den traurigen Alltag in seiner Heimat.
Um den italienischen Klubfußball scheint es übel bestellt. Es gibt bislang nur zwei prominente Neuzugänge auf der Spektakelbühne: zum einen den offensichtlich schlecht beratenen Diego. Denn was will der freiraumbrauchende Brasilianer bei einem disziplinfanatischen Malocher-Club wie Juventus Turin, der Del Pieros Geistesblitze nur am Freistoßpunkt zulässt und einen Kreativkönig wie Giovinco aus Angst vor zu viel Unordnung auf der Bank schmachten lässt? Gefeiert wird im Landes des Weltmeisters außerdem die Rückkehr von Nationalmannschaftskapitän Fabio Cannavaro. Allerdings: Der alternde Muskelprotz ist allenfalls ein Könner im humorlosen Ballwegschlagen. Oh bella Italia, welch düstere Aussichten!
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