Fußballgucken mit Thea Dorn: "Von Vogts zu Löw? Ein Quantensprung"

Die Autorin Thea Dorn über Frauen, die Fußball gucken, und das "verklemmt-verkorkste Verhältnis" der Deutschen zur Nation.

Macht Fußball für Frauen rezipierbarer: "Dass die Holländer ihre Kinder über den Platz tragen". Bild: dpa

taz: Frau Dorn, bei dieser EM gucken so viele Frauen Fußball wie noch nie.

Thea Dorn: Die Frage ist, warum die Frauen früher nicht geguckt haben - ich finde das völlig normal, dass man sich für Fußball interessiert.

Gucken Sie auch allein zu Hause?

Ja, hin und wieder. Aber Fußballgucken ist eines der wenigen Kollektiverlebnisse, die man haben kann. Man leistet sich ja relativ selten kollektive Emotionen, Rockkonzerte, Disco, und dann wars das im Wesentlichen.

Und jetzt leisten sich also auch Frauen so was?

Also mir leuchtet sonst kein sinnvoller Grund ein, warum die Frau sich weniger dafür interessieren könnte.

Vielleicht weil eben nur Männer auf dem Platz sind? Bei den Frauenspielen gibt es relativ viele Zuschauerinnen. Vielleicht brauchen Frauen einfach Identifikationsfiguren?

Männer gucken auch andere Frauensportarten, wie Damentennis.

Bei allen anderen Sportarten akzeptiert man die Leistungen der Frauen, auch wenn sie zum Beispiel langsamer sprinten als Männer. Wieso nicht beim Fußball?

Diese Sorte von Emotionen bekommt man nur hochgekocht, wenn der ganze Überbau stimmt. Und die normalen Frauenligaspiele sind meistens eher armselig, was das betrifft. Die haben oft kein Stadion, es guckt kaum einer zu, du kriegst nicht signalisiert, wie wichtig das ist. Von der Wichtigkeitsrhetorik wird man mitgezogen, und wenn es die nicht gibt … Natürlich ist Fußball, das ist ja eine Binsenweisheit, noch eine der letzten Männlichkeitsbastionen, aber ich glaube, dass das kippen wird, weil er eben viel weiblicher rezipiert wird. Und dass Frauenfußball in 20 Jahren einen ganz anderen Stellenwert haben wird.

Gucken Sie lieber mit Frauen?

Ich hänge eh mehr mit Frauen herum. Die Männer, die ich kenne, wissen nicht, wie viele Spieler auf dem Feld stehen, die wissen vermutlich nicht, dass gerade eine EM stattfindet. Die wundern sich, wieso ich in den letzten zweieinhalb Wochen so wenig Zeit hatte. Das hat aber auch was mit der Veränderung im Fußball zu tun. Dass es plötzlich interessant ist, in welchen Klamotten Herr Metzelder rumrennt, dass die Holländer ihre Kinder über den Platz tragen, das weicht natürlich die DFB-Männer-Kampftruppe auf. Insofern ist es für Frauen rezipierbarer.

Die Spieler sind auch anders, lassen sich von Schwulenmagazinen interviewen, tragen kiloweise Haargel.

Von Berti Vogts zu Jogi Löw ist wirklich ein Quantensprung. Und dann gibt es diesen Mit-Abholeffekt, zu sagen, das ist ein Anlass für Party und Ausgehen.

Sie freuen sich über den Sieg Deutschlands gegen die Türken, obwohl die Mannschaft schlechter war. Geht bei Ihnen nicht die Fairness über den Patriotismus?

Das finde ich eine Mädchenhaltung, zu sagen, die bessere Mannschaft soll gewinnen. Ich komme ja eher vom Theater- und Opergucken, und die Frage ist: Kann man Fußball als Spektakel ästhetisch gucken? Ich glaube absolut, dass man das kann.

Wie stehen Sie zu dem allgemeinen Beflaggen?

Ich bin skeptisch, ob das nicht vielleicht einfach nur die Verlängerung der Love Parade mit anderen Farben ist.

Wäre doch schlimm genug!

Also ich hab mich auch bei der WM schon mit dem Thema beschäftigt, mit dieser Hymnensingerei: Beim ersten Spiel stand noch keiner auf, beim vierten dann schon fast der ganze Biergarten. Einerseits denke ich dann: Verdammt, warum nicht? Und dass diese ewige Haltung, sich mit diesem Land nicht identifizieren zu dürfen, vielleicht noch verheerender ist, noch mehr Unheil produziert.

Da bin ich nicht sicher.

Ja, da schwingt andererseits eben immer die Furcht mit, dass irgendein Arsch doch die erste Strophe singt. Es gibt immer ein Unbehagen. Diese Scham steckt auch in unserer Generation, und das ist gut, dass sie da steckt. Trotzdem glaube ich, dass ein Verbot nichts bringt, wenn bei einem Spiel eben alle anderen ihre Fahnen schwenken. Das wäre dann ein deutscher Sonderweg, den ich eher suspekt fände.

Aber wenn die Käseverkäuferin die deutschen Farben auf der Wange hat, interessiert die sich ja nicht plötzlich für Fußball, sondern ist nur stolz auf ihre Nationalzugehörigkeit.

Es ist ja kein Geheimnis, dass wir ein verklemmt-verkorkstes Verhältnis zur Nation haben, und darum hat das ja auch sowas Verschämt-Verdruckstes. Darum ist Fußball ein Bereich, in dem man sagt: Da dürfen wir mal wieder, im Spielstadium, ausprobieren, wie sich Patriotismus anfühlt. Aber wenn ich mir die Gesamtverfasstheit unserer Gesellschaft ansehe, sehe ich gerade so gar keine Indizien für deutschen Größenwahn, so dass ich es eher harmlos finde. Von der WM damals mit dem Schwarz-Rot-Gold ist ja auch nichts geblieben.

Mir kommt es vor, als wäre es gestern gewesen: schon wieder Flaggen.

Es ist eher ein Spiel. Man spielt Patriotismus und Nationalismus, alle paar Jahre für ein paar Wochen. Ich würde es nicht überbewerten. Ich fand es bei der WM zum Beispiel extrem undeutsch und sympathisch, dass man das Team liebte, obwohl es Dritter wurde.

INTERVIEW: JENNI ZYLKA

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