Fußballfans trauern um Robert Enke: Was wir mitnehmen müssen
40.000 Fans haben in Hannover Abschied von Nationaltorwart Robert Enke genommen – sein Vermächtnis wird bleiben.
Es war vielleicht der bewegendste Moment der Trauerfeier. Um kurz nach zwölf traten am Sonntag die Spieler von Hannover 96 auf den Rasen im heimischen Stadion und versammelten sich um ihren toten Mannschaftskapitän, der in der Mitte des Spielfelds aufgebahrt war. Sechs von ihnen trugen den Sarg von Robert Enke aus dem Stadion. Als der schlichte, naturholzfarbene Sarg durch die Stadiontüren verschwand, war der Moment des endgültigen Abschieds gekommen.
Es war zugleich das Ende einer Woche, in der die Trauer um den Nationaltorwart Enke Ausmaße angenommen hat, die niemand erwarten konnte. Über 100.000 Trauernde wurden zwischenzeitlich für die Veranstaltung in der AWD-Arena erwartet.
40.000 Menschen waren es schließlich. Es herrschten keine Gandhi- oder Adenauer-artigen Zustände, ein paar Plätze blieben sogar frei. Es wurde damit auch keine irreale Trauerprozession, die zwangsläufig kritische Töne nach sich gezogen hätte - und eine Debatte, die der Tragik der Geschichte Robert Enkes wohl nicht gerecht geworden wäre.
Der Sport: Erst spät, mit 32 Jahren, wurde Robert Enke zur Nummer eins im Tor der Nationalelf. Einer der Leistungsstärksten war er schon immer. Seine Kollegen hatten ihn kürzlich noch zum besten Keeper der Fußball-Bundesliga gewählt. Der Thüringer begann seine Profikarriere bei Carl Zeiss Jena, wechselte zu Borussia Mönchengladbach. Danach machte er Station bei Benfica Lissabon, dem FC Barcelona, er war kurz bei Fenerbahce Istanbul, später ging er zu CD Teneriffa und Hannover 96.
Die Familie: Robert Enkes Tochter Lara starb, erst zwei Jahre alt, am 17. September 2006. Lara hatte von Geburt an einen schweren Herzfehler (Hypoplastisches Linksherz-Syndrom) und musste deswegen ihre ersten 18 Monate im Krankenhaus verbringen. Teresa Enke, die Witwe, war 14 Jahre mit Robert Enke zusammen. Beide hatten sich 1995 am Sportgymnasium im thüringischen Jena kennen gelernt. Die Enkes hatten im Mai eine Tochter, Leila, adoptiert. Sie ist heute gut acht Monate alt.
Stattdessen war es bei außergewöhnlich schönem Novemberwetter eine ruhige, besinnliche Veranstaltung. Neben Enkes Vereinskameraden war auch viel Politprominenz anwesend, die Nationalspieler Michael Ballack und Per Mertesacker legten einen Blumenkranz am Sarg nieder. Mit Pfarrer Heinrich Plochg leitete ein bekennender Fan von Hannover 96 die Messe. "Der Weg von der Tribüne hier auf den Rasen ist kein leichter Weg", sagte Plochg, der noch eine Woche zuvor im selben Stadion saß, als Enke sein letztes Spiel gegen den Hamburger SV bestritt.
"Robert Enke wird nie wieder in dieses Stadion kommen", sagte Hannover-96-Präsident Martin Kind mit stockender Stimme. Einfache Worte, an die Fans gerichtet. So hatte es die Witwe Teresa Enke gewünscht. Es sollte ein Abschied für die Fans werden, für die Robert Enke zu einem Idol geworden war, zu einer Identifikationsfigur für eine ganze Stadt. Immer wieder wurden die Reden von Applaus unterbrochen. Fans hielten Schals in die Luft, als die Vereinshymne "Alte Liebe" gespielt wurde. Kurze Momente, in denen sich Stadionatmosphäre und Trauerfeier trafen.
Langen Applaus bekam der Präsident des Deutschen Fußballbundes, Theo Zwanziger, als er in einem bewegenden Appell sagte, dass "ein Stück mehr Zivilcourage, ein Stück mehr Menschlichkeit" in Sport und Gesellschaft der Person Robert Enke gerecht würden. Zwanziger setzte damit die Debatte fort, die der Tod Robert Enkes über Hannover hinaus ausgelöst hat. Es ist die Frage, wie man im Sport mit Tabus umgeht. Noch heute bekennt sich etwa niemand im Profifußball zu seiner Homosexualität. "Ihr könnt viel tun, wenn ihr bereit seid aufzustehen gegen das Böse", sagte Zwanziger.
Die öffentliche Trauer ist seit Sonntag beendet - als Robert Enke das letzte Mal sein Stadion verlassen hat. Erst jetzt beginnt das, was viele in der vorigen Woche das "Vermächtnis" von Robert Enke genannt haben: die Aufgabe, im Alltag die Toleranz für Schwächen aufzubringen, die Enke gebraucht hätte.
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