piwik no script img

Fußballer gegen nervende NachbarnFür das Recht auf Lärm und Bewegung

Vereine, die Ärger mit klagefreudigen Nachbarn wegen Lärm haben, treffen sich zum Cup.

Die graue Lautsprecheranlage wird man in absehbarer Zeit als elektronische Antiquität bezeichnen können. Seit 15 Jahren steht sie im Platzwarthäuschen des Kreuzberger Vereins S.C. Amateure Berlin 1920 an der Körtestraße. Am Samstag ist sie erst zum zweiten Mal überhaupt eingeschaltet worden. Der klagefreudigen Anwohner wegen würde man sich das ansonsten nicht trauen, erklärt Herbert Komnik, der Jugendleiter des Klubs. Aber für das Kinder-Protestturnier, den Körte-Cup, drehte man das Mikrofon bewusst auf.

An die Nachwuchskicker richteten die Erwachsenen vor Ort einen recht ausgefallenen Wunsch: "Seid laut!" Die sechs Teilnehmervereine des Turniers, die mit ihren F-Junioren antraten, eint ein Schicksal, auf das aufmerksam gemacht werden sollte: Sie spielen in ihren Bezirken auf Sportanlagen, die aufgrund von Anliegerbeschwerden nur eingeschränkt nutzbar sind.

Im Falle des S.C. Amateure genügt gar eine einzige verärgerte Anwohnerin, um dem Club mit seinen 400 Jugendlichen die Arbeit zu erschweren. Während der Schulsommerferien wurde der Platz für die vielen Daheimgebliebenen in Friedrichshain-Kreuzberg sogar gesperrt. Ein Bezirksbeschluss.

Der Unmut der Körte-Cup-Teilnehmer wendet sich vor allem an die Politikvertreter, die den Bedürfnissen der Anlieger oft den Vorrang einräumen. Ulrich Strumpf, der Jugendleiter von Eintracht Mahlsdorf, erzählt, dass der verantwortliche Bezirk notwendige Investitionen auf der Sportanlage mit der Begründung ausgesetzt habe, dass man 300.000 Euro für einen lärmdämmenden Schutzwall ausgeben werde. "Da wird viel Geld verbraten, das der Jugendarbeit der Vereine zugutekommen könnte." Komnik macht auf die dynamische Entwicklung der Beschwerdekultur aufmerksam: "Kinder werden zunehmend wie eine Heuschreckenplage wahrgenommen." Die Sportanlage an der Körtestraße besteht seit 1964. Juristische Scherereien gibt es aber erst seit den Neunzigerjahren.

Beim Landessportbund Berlin (LSB) weist man darauf hin, dass die erste ihnen bekannte Klage aus den 80er-Jahren stammt. Sie richtete sich damals gegen Blau-Weiß Berlin in Tempelhof. Der Verein, der auch am Körte-Cup teilnahm, wird noch heute von einem Anwohner per Videokamera auf dem Balkon dauerüberwacht. Dieser will eventuelle Störungen der vorgeschriebenen Ruhezeiten dokumentieren können.

Derzeit sind in Berlin 45 Sportplätze nutzungseingeschränkt. Für Uwe Hammer, Präsidialmitglied des LSB, ist das nicht akzeptabel. Man könne das innerstädtisch ohnehin sehr knappe Angebot für Kinder, ihrem Bewegungsdrang auszuleben, nicht noch weiter verknappen.

Was tun? Darüber hätte man sich beim Körte-Cup gern mit den geladenen Politikvertretern unterhalten. Doch bis auf die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Sigrid Klebba (SPD) und ihrem Parteikollegen und Bundestagskandidaten für Friedrichshains-Kreuzberg, Björn Böhning, ließ sich niemand sehen. Beide stellten sich für ein Foto plakativ auf die Seite der Veranstalter und hielten symbolisch den Sportplatzgegnern eine rote Karte entgegen.

Die Wirklichkeit ist komplizierter. Es gibt dehnbare Bundes- und Landesgesetze, die den Anwälten der Ruhegestörten reichlich Hebelpunkte bieten, ihre Privatinteressen durchzusetzen. Hier müsste die Politik tätig werden. Böhning verwies darauf, dass die SPD in Berlin gerade an einem neuen Landesgesetz arbeite, das die Erfolgschancen der Lärmkläger einschränke. Allerdings hat der LSB bereits kritisiert, dass diese Initiative zwar Klagen gegen Kita-Einrichtungen, nicht aber gegen Sportanlagen erschwere.

Böhning weiß das natürlich. Deshalb versicherte er auch, dass er sich dafür auf Bundesebene einsetzen würde. Ein Versprechen drei Wochen vor dem Urnengang - mehr nicht.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!