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FußballDie Liga im Nacken

Die Bundesliga und die Nationalelf stehen seit Jahren in einem Popularitätswettbewerb. Seit der WM führt das Team von Bundestrainer Löw - doch der Klubfußball holt auf.

Ein bisschen Ribéry in der Liga und sie holt die Nationalelf an Popularität wieder ein Bild: dpa

Es geht um Sekunden. Das ist die Einheit, mit der die Qualität der deutschen Fußballnationalmannschaft gemessen wird, seit Joachim Löw das Traineramt übernommen hat. Stolz hat der unlängst vorgerechnet, dass die "Ballbesitz-Quote" seiner Spieler vor 15 Monaten noch bei 2,5 Sekunden gelegen habe und seither auf einen Wert von 1,9 Sekunden gesunken sei. Heißt: Nie war der deutsche Nationalmannschaftsfußball so schnell wie heute. Das hat dem Team viel Anerkennung gebracht. Aus Rumpelfüßlern waren Spaßkicker geworden. Joachim Löw und Oliver Bierhof, der Manager der Nationalmannschaft, zeigen mit den Fingern auf die Bundesliga und sagten: Ändert euch, werdet jünger, spielt schneller, scoutet besser! Kurz: Macht es so wie wir!

So selbstsicher sind die beiden geworden, dass sie in jedem Spiel einen Sieg erwarten. Auch heute Abend im Testspiel gegen England im Londoner Wembley-Stadion (21 Uhr, ARD) soll munter nach vorne gespielt werden. Dass jede Menge Leistungsträger verletzt abgesagt haben, zuletzt Miroslaw Klose, Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira, scheint den Optimismus des Betreuerstabs nicht mindern zu können. Löw und Bierhoff sehen im DFB-Team die Verkörperung der höchsten deutschen Fußball-Kompetenz, sehen sich als die Apologeten des neuen deutschen Fußballstils.

Sie wissen, dass ihre Arbeit gut angekommen ist bei den Fans, dass der Nationalmannschaft nach Jahren einer Art Beziehungskrise die Herzen wieder zufliegen. Mit dem Rückenwind des sportlichen Erfolgs hat Bierhoff immer wieder die Klubs der Bundesliga belehrt, ihnen Rückständigkeit vorgeworfen. So mancher hilflose Auftritt deutscher Vereine in europäischen Wettbewerben schien ihm recht zu geben. Die wohltemperiert vorgetragenen Kombinationen des deutschen Meisters mussten zum Neue-Wilde-Spektakel hochgejazzt werden, um der obersten deutschen Spielklasse zu ein wenig Glanz zu verhelfen. Werder Bremens Tempoauftritte waren allzu spärlich gesät, um dem modernen Tempofußball, derzeit gern auch One-Touch-Football genannt, zum Durchbruch in der Liga zu verhelfen. Und Jürgen Klopps Konzeptfußballversuche in Mainz wurden gar mit dem Abstieg bestraft. Doch davon redet derzeit niemand mehr. Ein paar Auftritte von Bayerns neuem Tempofranzosen Ribéry haben gereicht, um das Image einer ganzen Spielklasse aufzupolieren. Die Weltklasse ist zu Besuch und Fußballdeutschland staunt. Vielleicht ist sie nicht von langer Dauer, die frisch erwachte Liebe zur Liga. Doch noch ist sie im Aufwind.

Das muss die DFB-Verantwortlichen zwar noch nicht nervös machen, zu denken geben dürfte ihnen der unerwartete Popularitätsschub für die Bundesliga allemal. Als die Nationalmannschaft bei der EM in Belgien und den Niederlanden 2000 kläglich scheiterte, da war es Franz Beckenbauer, der offen aussprach, was seinerzeit viele dachten. Nationalmannschaften hätten keine Zukunft, sagte er, die gehöre den großen Klubs vor allem in Europa, unter anderem dem FC Bayern. Der Stolz, den Adler auf der Brust tragen zu dürfen, den schien kaum einer mehr zu spüren, der in das Aufgebot für ein Länderspiel berufen wurde. Oft genug spürten die Spieler ein Zwicken in der Muskulatur, wenn der Bundestrainer rief. Die Nationalmannschaft war out - und blieb es lange. Auch der merkwürdige Finaleinzug bei der WM 2002 konnte daran nichts ändern.

Doch noch sieht sich Joachim Löw im Vorteil gegenüber der Liga. Und so hat er vor dem Spiel in London wieder einmal den Oberlehrer gegeben und den Klubs vorgeworfen, zu viel grätschen zu lassen, deshalb seien so viele seiner Nationalspieler verletzt. Löws Team hat das analysiert. Das Abwehrverhalten in der Liga ist vormodern. Widersprochen hat dem Bundestrainer bislang niemand. Die Liga hält sich zurück. Es sind die Erfolge (neun Siege in elf Spielen), die Löw beinahe unangreifbar machen derzeit. Sollten sie über längere Zeit ausbleiben, werden sich die Manager der Liga nicht mehr wie Schüler belehren lassen. Auch deshalb ist das Testspiel gegen England, das Löw mit einer B-Auswahl bestreiten muss, alles andere als unwichtig.

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3 Kommentare

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  • MW
    Michael Wiemer

    Jogi Löw eifert dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer nach. Natürlich ist es Politik über Bande. Die Verletzungsdebatte wird sich jedoch nach dem 2:1 gegen England nicht verselbständigen. Natürlich ist die Anzahl der Verletzten bedenklich. Wie Klose durch das Brutalo Foul von Naldo ausser Gefecht gesetzt wurde konnte jeder sehen. Es erinnerte unangenehm an das üble Rambo Foul von Meira an Mintal im Pokalendspiel. Allofs nahm Naldo in Schutz. Er wäre körperlich nicht frisch und sei zu spät gekommen. Natürlich stellt sich da die Frage: Darf dann so ein Mann aufgestellt werden der ja mit seiner nicht so frischen Spielweise die offensichtliche Verletzung seines Kontrahenten in Kauf nimmt ? Für Naldo bedurfte es an diesem Sonnabend eigentlich eines Waffenscheins. Bewunderswert wie souverän die Bayern Verantwortlichen wie Uli Hoeneß mit dem rüden Foul am Nationalspieler Klose umgegangen sind. Bei den vielen Absagen an Löw waren jedoch auch Spieler dabei die nicht durch Fouls verletzt waren. Da stellt sich sicherlich in dem einen oder anderen Fall die Frage nach dem Training und der Regeneration und Prävention. Bremens Manager Klaus Allofs betont das Werder das selbe Trainingsprogramm fährt wie die Jahre zuvor. Die medizinische Kompetenz bei Vereinen wie dem FC Bayern München steht sicherlich nicht im Schatten der Abteilung Doc. med. Nationalmannschaft. Die Italiener für faires Zweikampfverhalten zu loben empfinde ich persönlich etwas weit hergeholt. Jogi Löw wollte (jetzt sind wir wieder bei der Politik) eventuell nur einer Niederlage in England vorbeugen. Prävention in eigener Sache. Kluger Schachzug. Könnte direkt aus der Joschka Trickkiste stammen. Natürlich hatte er auch diesbezüglich mit Klinsmann einen guten Lehrmeister. Jogi Löw macht seinen Job als Fußballaußenminister Deutschlands schon sehr gut. Er setzt auch eigene Akzente und die Mannschaft trägt deutlich seine Handschrift. Mit dieser Mannschaft freut sich Deutschland zu Recht auf die EM 2008.

  • TM
    Talime Maier

    Das gerade die taz - Zeitung der Weltverbesserer und "Alles-Besser-Wisser" - Jogi Löw oberlehrerhaftes Getue vorwirft, ist schon ein starkes Stück. Seine Kritik ist angesichts der Verletztenmisere nachvollziehbar und wenn Ihr Journalist in letzter Zeit mal ein Fußballspiel verfolgt hat, würde er auch die Berechtigung erkennen. Da wird wild gegrätscht, ohne die geringste Chance, an den Ball zu kommen. Aber da der Bundestrainer momentan beliebt ist, muss Ihre Zeitung vermutlich aus prinzipiellen Gründen negativ über ihn berichten. Schließlich ist man ja "Anti-Establishment", nicht wahr?

  • K
    Kyniker

    Das Problem für den deutschen Vereinsfußball ist nur der "ärgerliche" Umstand, dass Löw & Bierhoff mit ihrer Kritik im Kern ( zumeist ) Recht haben!

     

    Tatsächlich haben die hiesigen Vereine in den neunziger Jahren die Jugendarbeit vernachläßigt, taktisch den Anschluß verpasst und moderne Trainingsmethoden vorzugsweise mit höhnischen Kommentaren bedacht!

     

    Auch wenn Onkel Uli jetzt sein Festgeldkonto geplündert hat und die DFL wieder ihre alljährliche (Zuschauer-) Jubelstatistik veröffentlicht, gilt es trotzdem festzuhalten, dass Rumänien die Bundesliga aktuell von Platz Fünf der UEFA-5-Jahreswertung verdrängt hat! Ob den Vereinen nun die belehrende Diktion und der Habitus von Löw & Bierhoff gefällt oder nicht - sie wären gut beraten, wenn sie sich die gutmeinende und sachliche Kritik zu Herzen nehmen würden! Letztlich läßt sich die sportliche Realität nicht wegdiskutieren! Ganz abgesehen davon, dass die Nationalmannschaft immer noch TV-Einschaltquoten erzielt, von denen die gesamte Bundesliga ( geschweige denn ein einzelner Verein ) nur zu Träumen wagt!