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Fußball mit Kindern vertreibt Kummer und SorgenArschbombe ins Netz

Allons Enfants

von Lukas Wallraff

Was ist das schönste am Fußball? Richtig: Dass er kein Trump ist, kein Terror, kein Gauland, kein Klima­wandel, auch kein Gabriel und keine Arbeitsrechtsreform. Sondern 90 Minuten Erholungsurlaub von der komplizierten, schlechten Welt. Plus Nachspielzeit.

Selten war es so schwer und gleichzeitig so wichtig, das zu genießen wie in diesem Jahr. Einzige Chance: viel Bier holen und lang aufs Klo gehen während der Halbzeit-„Tagesschau“. Oder: kleine Kinder haben.

Die lösen das Problem. Weil sie weder von Terror, Trump noch Gauland, geschweige denn von Gabriel gehört haben, auch nicht von Fracking oder Packing. Sie haben ganz andere Sorgen, eher profane, die leicht zu zerstreuen sind.

Okay, morgen gegen Polen dürft ihr aufbleiben, denn ihr habt schon recht: Das Spiel ist extrem wichtig, danach kommen nur noch ein paar Schulstunden am Freitag, den Tag übersteht ihr auch übermüdet, und am Wochenende könnt ihr ausschlafen. Erschöpft, aber glücklich, weil wir bestimmt gewinnen.

Wir? Ja, auch das ist einfach mit den kleinen MitbewohnerInnen. Die oft verkrampften Integrations- und Identifikationsdebatten lösen sich mit 5- und 6-Jährigen in Luft auf. Dass Jérôme Boateng für Deutschland spielt, ist für sie genauso selbstverständlich wie eine Frau als oberste „Bestimmerin“.

Neulich beim Panini-Einkleben: Wir bekommen ein Bild von Cech, dem tschechischen Torwart. Sinniger Kommentar meinerseits: „Schaut mal, Cech, das ist ja leicht zu merken, der heißt Cech und gehört zu Tschechien. So wie wenn einer für Deutschland spielt und Deutsch heißt.“ „Ja. Oder Özil!“, schreit der Sohn begeistert. Genau! Der erste, typisch deutsche Name, der ihm einfällt. Und ob der nach Mekka, Altötting oder Wembley fährt, ist den kleinen Özil-Fans genauso egal wie die Hautfarbe von Boateng, den sie seit dem Ukraine-Spiel natürlich noch mehr verehren.

Wobei die Loyalität zu Deutschland enge Grenzen hat. Bei der Frauen-WM im letzten Jahr war im Halbfinale gegen die USA Schluss mit pat­rio­tisch. In der 84. Minute, direkt nach dem Tor zum 0:2. Kurzes Schweigen. Dann: „Ich bin für die … wie heißen die noch mal?“ „USA.“ Schlusspfiff. „Jaaa! Wir sind im Finale!!“

Also, wenn es darauf ankommt, lieben sie nicht das Land, sondern die Kunst. Selten wurde eine Fußballaktion so enthusiastisch kommentiert wie Boatengs Rettungstat auf der Torlinie. Im medialen Bereich sicher auch wegen der medialen Vorgeschichte. Im privaten Bereich einfach so. „Ich würde Boateng einen Extrapreis geben. Der hat ein Riesenlob verdient“, meint die Schülerin. „Der hat Arschbombe ins Netz gemacht“, analysiert das Kita-Kind und fasst die Sache damit abschließend zusammen. Keine weiteren Fragen.

Unsere EM-Zwischenbilanz:

Schönster Moment: Der gemeinsame Jubel über das erste und wahrscheinlich einzige Club-Tor der EM (Zoltan Stieber für Ungarn gegen Österreich).

Schlimmster Moment: Als ich das erste Panini-Album auf dem Autodach liegen ließ und losfuhr. Teurer Fehler.

Größter Erfolg: Hatte Island schon vor dem Spiel gegen Portugal zu meiner Lieblingsmannschaft erklärt und das Island-Glitzi aufs Auto gepappt.

Wichtigstes Ziel: Noch ein Club-Tor.

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