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Fußball ist bistabil

■ Entweder man gewinnt - oder man verliert / Tennis ist nur ein Surrogat

Zu danken ist natürlich primär unseren Jungs, aber, was wären die ohne das Medium. Rauchzeichen oder Brieftauben müßten die Botschaft vom glücklichen Sieg übermitteln. Deshalb gilt unser besonderer Dank natürlich auch dem Fernsehen. Erst durch das elektronische Medium sind die Treter in Rom zu nationalen Helden geworden. Der Jubel in den deutschen Landen resultierte aus dem Versuch ein medial vermitteltes Ereignis in den eigenen Erfahrungsbereich zu transformieren. Die aktuellen Berichte vom Schauplatz des Jubels lockten die Zuschauer an den Ku'damm und auf die Reeperbahn.

Eins steht fest: Beim Bangen um den Sieg, beim Jubel und danach auf der Straße, da war die Vereinigung schon vollzogen. Zwar findet eine WM alle vier Jahre statt, mit der Einmaligkeit des Mauerfalls konnte das Ereignis deshalb nicht aufwarten, dafür aber stimmte das Timing. Denn im Gegensatz zum 9. November, als man nicht so recht wußte, geht es heute Nacht los oder nicht, war diesmal alles klar: Spätestens um 22.30 Uhr sind wir Weltmeister - oder auch nicht.

Die Öffentlich-Rechtlichen, wer wollte es ihnen verdenken, haben ihre Senderechte genüßlich ausgekostet, das Vorspiel, den Koitus und das Nachspiel in Form von Reportagen über den Siegestaumel. Denn während RTL plus nach der dramatischen Niederlage von Boris Becker sogleich Werbung einblenden mußte, hat die ARD bis zu den Tagesthemen voll drauf gehalten. Die Damen und Herren vom Privatsender konnten einem diesmal schon richtig leid tun, denn während vor einem Jahr die Sportnation via „Bild“ die öffentlich-rechtliche Tennisübertragung einklagte, die an den Finanzen gescheitert war, kam der weiße Sport diesmal nicht so recht zum Zuge. Der Doppelschlag, Finale der Fußballer in Rom und der Tennisspieler in Wimpledon am gleichen Tag hat es gezeigt: Tennis ist nur ein Surrogat, das Volk will Fußball.

Daß die Politiker ein besonderes Verhältnis zu den Massenmedien haben, wissen wir längst, besonders vor den Wahlen nützen sie jede Gelegenheit, um sich in Szene zu setzen. Instrumentelle Öffentlichkeitsproduktion nennt man das. Diesmal hatte Oskar Lafontaine den besseren Riecher. Er war im Anschluß an das Halbfinale vor Ort und wurde prompt vom Reporter zu einem Live-Interview gebeten. Vier Tage später hatte Kanzler Kohl das Nachsehen, zwar war eilig mit dem Jet nach Rom gereist, mußte sich aber mit nur einer Einblendung aus dem Zuschauerraum begnügen. Häuptling Silberlocke, unser Bundespräsident, durfte unseren siegreichen Jungs die Hände schütteln und war damit im Bild.

Fußball als System hat keinen Zweck, schrieb neulich Niklas Luhmann in der 'Frankfurter Allgemeinen‘, aber mehr als irgend eine andere Spezialität der Moderne eignet es sich dazu, die Einheit von Leichtigkeit und Schwere zu symbolisieren. In einer Zeit, in der Feindbilder zerbrechen und die politischen Systeme in einer bange machenden Leichtigkeit sich verflüchtigen, bedürfen wir anscheinend der Gegengewichte von Schwere.

In Ermangelung sinnstiftender Religiosität bietet sich der Fußball an. Zudem funktioniert das Fußballsystem ganz einfach, denn es ist bistabil: entweder man gewinnt - oder man verliert. Das macht die ganze Fasznation aus. Das Fernsehen liefert dazu einzig das Futter. Nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht genügt diese banale Erklärung ja, um dem Medium die Absolution für die Wirkung der Bilderflut zu erteilen.

Karl-Heinz Stamm

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