Fußball-WM in Samara: Copacabana an der Wolga
Am Stadtstrand von Samara geht es mediterran zu. Die Welt ist in Ordnung. Man freut sich über die WM-Gäste und die Offenheit der Stadt.
Sie müssen keine Angst haben, aufgehalten zu werden. Und wenn russische Fans ihren aus Uruguay angereisten Freunden für einen Abend das russische Volkslied „Katjuscha“ beizubringen versuchen, dann muss selbst der grimmigste Polizist grinsen.
„Wir schlagen vor, öffentliche Versammlungen zu einem beliebigen Zeitpunkt nach dem 25. Juli 2018 durchzuführen.“ Mit diesen Worten endet ein Schreiben der Stadtverwaltung von Nowokujbyschewsk. Es ist Demo-Verbot. Die Kommunistische Partei wollte in der Siedlung 20 Kilometer südlich von Samara am 1. Juli 1.500 Menschen auf die Straße bringen, um ein Zeichen zu setzen gegen die angekündigte Anhebung des Rentenalters in Russland.
Doch am 1. Juli darf nicht demonstriert werden. Während der WM geht gar nichts. Die Sicherheitskräfte seien beschäftigt mit der Bewachung des Sportereignisses. So steht es im Schreiben. Es wird auch auf den WM-Ukas des russischen Präsidenten Wladimir Putin verwiesen, mit dem sich jede Demo während der Zeit des Turniers verbieten lässt.
Traum vom neuen Stadion
Michail Matwejew will den Beschluss vor Gericht anfechten. „Von Nowokujbyschewsk ist in dem Ukas des Präsidenten nicht die Rede“, sagt er. In Samara, gut, da könne verboten werden, was man verbieten will. In Nowokujbyschewsk nicht, da ist keine WM.
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WM 2018 – Die Spielorte
Matwejew ist Deputierter der städtischen Duma von Samara. Als Vertreter der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation ist er dort einer von zwei Abgeordneten, die nicht der Putin-Partei „Einiges Russland“ angehören. Er ist so etwas wie die institutionalisierte Nervensäge der Millionenstadt Samara. Immer wieder hat er auf Missstände beim Bau des WM-Stadions hingewiesen, ist ein vehementer Verteidiger des Erhalts der alten Bausubstanz in der Stadt und hat mit der Rente jetzt ein klassisches Thema für seine kommunistische Partei vor die Füße gelegt bekommen.
Mit der WM indes hat er seinen Frieden gemacht. Er will nicht stänkern. Die Fußballfans in der Stadt hätten schon lange von einem neuen Stadion geträumt. Jetzt haben sie es. Krylja Sowjetow heißt der Erstligaaufsteiger, zu Deutsch, „Flügel der Sowjets“. Jan Koller, den tschechischen Riesenstürmer, hat es in seinem Karriereherbst mal zu dem Klub verschlagen.
In den Tagen der WM gibt er den gut gelaunten Botschafter der Stadt und ist ein beinahe ebenso gefragtes Fotomotiv für viele Fans wie das Stadion. Freundlich nickt er, als Dmitrij Schljachtin, der Sportminister des Kreises Samara, mehr schlecht als recht versucht zu erläutern, wie denn das Stadiongelände zukünftig genutzt werden solle. Restaurants werde es geben, einen Fanshop und später könnten mehrere Trainingsplätze und ein First-Class-Hotel gebaut werden, ein Spielplatz vielleicht noch.
Die Stadien der WM
Man wird sehen, ob Krylja Sowjetow das Stadion wird füllen können. Zur Eröffnung der Arena hat das Team schon einmal in diesem neuen, silbern glänzenden Ding gespielt, das gerade noch rechtzeitig vor der WM vor die Tore der Stadt gesetzt worden ist. Das Stadion sollte der ganz große Wurf werden. Es ist eher ein Würfchen geworden. Die leuchtende Membran, die das Stadion, das an ein gelandetes Ufo erinnern soll, in den verschiedensten Farben zum Leuchten bringen sollte, wird man vergeblich suchen. Das Stadiondach ist aus Wellblech. Das versprochene Super-Ufo ist das nicht.
Das wird die Fans gewiss nicht stören. Die Samarer wissen schon, dass in ihrer Stadt die berühmten Sojus-Raketen entwickelt worden sind, von denen ein Nachbau als Sehenswürdigkeit in den Himmel der Stadt ragt. Sie brauchen kein Stadion, das sie daran erinnert. Und wenn sich von den WM-Gästen jemand dafür interessieren sollte, dann kann man es ihnen ja erzählen.
In Samara ist die Welt in Ordnung
Die Gäste, sie haben es auch dem Deputierten Matwejew angetan. Die Stadt sei endlich offen. Zu Sowjetzeiten, als Samara nach einem Bürgerkriesgshelden und Volkskommissar Kuibyschew hieß, durfte kein Fremder den Ort betreten. Das Raketenprogramm sollte vor Schnüfflern sicher sein.
Auch deshalb war man aufgeregt in Samara, wie das wohl so werden würde, wenn die WM kommt. Ein Restaurant, dessen Interieur mit seinen geschwungenen Holzelementen an der Decke, die wohl an die Wolgawellen denken lassen sollen, sich gut in einem Museum für Sowjetdesign machen würde, heißt jetzt „Say Cheese!“. Auf der Speisekarte gibt es Caesar Salad statt den typisch russischen Wurst-, Kartoffel- und Rote-Bete-Salaten. Man muss von der Fan-Zone in der Innenstadt ein paarmal zu oft abbiegen, um dahin zu gelangen, und so hätten sich, sagt der Kellner, noch nicht allzu viele Ausländer eingefunden.
Die fremdeln auch ein wenig mit dem Strand, der sich mitten in der Stadt über Hunderte Meter erstreckt. Der ist fest in russischer Hand. Die Fußballreisenden scheinen nicht damit gerechnet zu haben, dass sie ausgerechnet hier an der Wolga den Copacabana-Moment der WM erleben können, dass es in Samara mediterraner zugeht als im Regierungsprojekt Russische Riviera am Schwarzen Meer in Sotschi. Mitten in der Stadt kann man baden gehen. Es wird Beachvolleyball gespielt. Ein lokaler Radiosender lasst die WM von Jugendlichen auf Sand nachspielen. Deutschland gewinnt gegen Schweden mit 14:0.
Hier ist die Welt in Ordnung. Wenn man über den Strand gegangen ist, weiß man, dass es russische Reggaemusik gibt und wie es sich anhört, wenn auf Russisch gerapt wird. Wenn die Sonne untergeht, machen sich die jungen unter den Badegästen auf den Weg Richtung Fan-Zone zum Singen und Gemeinsam-laut-Sein. Woher kommt der Typ mit dem gelben Trikot? Egal, ein gemeinsames Selfie geht immer. Und fast immer ist diese eine Frage zu hören: „Bist du auch auf Instagram?“
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