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Fusionsvertrag mit großen Tücken

■ Hohe Hürde für die Volksabstimmung über Länderfusion /Sparverpflichtung zwingt zu Personalabbau

Der Tag danach war der Tag der Interpretationen. Während der SPD-Fraktionschef Klaus Böger gestern von einem „positiven Aufbruchssignal“ für die Region sprach, warnte sein Kollege Klaus Landowsky von der CDU vor „Hurra-Geschrei“. Es geht um den am Sonntag vorgestellten Vertragsentwurf zur Fusion von Berlin und Brandenburg.

Trotz der Vorbehalte innerhalb der eigenen Fraktion bekannte Landowsky, er werde seinen Kollegen die Annahme des Staatsvertrages empfehlen und dafür werben, die Fusion erst im Jahr 2002 durchzuführen. Über das Datum – Böger sprach sich gestern für 1999 aus – sollen die Bevölkerungen Berlins und Brandenburgs am 5. Mai 1996 entscheiden. Der Modus der Volksabstimmung hat es in sich. Mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten in jedem Land müssen dem Fusionsvertrag zustimmen. Wird in einem der beiden Länder diese Quote nicht erreicht, gilt das Vorhaben als gescheitert. Nach den Berechnungen Bögers müßten bei 4,5 Millionen Stimmberechtigten in beiden Ländern mindestens 1,125 Millionen Menschen mit Ja votieren. Landowsky sprach von einer „hohen Hürde“, die Bevölkerung halte „die Notbremse in der Hand“.

Die Beurteilungen des Vertragswerks gingen gestern erwartungsgemäß weit auseinander. Während die PDS bereits ihre parlamentarische Verweigerung ankündigte, monierten die Bündnisgrünen und die FDP die Verpflichtung Berlins, verstromte Lausitzer Braunkohle abzunehmen.

Die für die erste Legislaturperiode anvisierte Zahl von 200 Sitzen im Landesparlament – erst danach ist ein Abbau um 50 Sitze vorgesehen – könnte durch Ausgleichs- und Überhangsmandate noch einmal kräftig steigen. 230 bis 250 Sitze seien durchaus möglich, meinte gestern der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Horst-Achim Kern. Im künftigen Landtag werden die Berliner Abgeordneten eine satte Zweidrittelmehrheit haben.

Als Erfolg wertete Böger den Umstand, daß Berlin bis zum Jahr 1997 über die Wahl und Größe des Magistrats sowie der Bezirke selbständig entscheiden kann. Die Stadtverordnetenversammlung der dann kreisfreien Stadt Berlin wird insgesamt 150 Sitze umfassen. Bei der umstrittenen Bezirksreform wurde die Zahl der Bezirke offengelassen. Der Staatsvertrag legt lediglich fest, daß Berlin eine Bezirks-Gebietsreform durchführt, die „spätestens mit Bildung eines gemeinsamen Landes“ in Kraft tritt.

Die Verpflichtung Berlins, die Schuldenaufnahme bis zum Jahr 2002 um rund 4,7 Milliarden Mark zurückzuführen, wird aller Voraussicht nach einen weiteren Stellenabbau bei Landesbehörden nach sich ziehen. Kern wollte nicht ausschließen, daß noch einmal bis zu 27.000 Stellen bei Landesbehörden gestrichen werden müßten. Nach einem älteren Senatsbeschluß sollen im öffentlichen Dienst bis zum Jahr 1997 rund 25.000 Stellen eingespart werden. Beide Länder verpflichten sich im Staatsvertrag, die Zahl der Landesbediensteten auf 159.000 zu begrenzen. Zu fusionsbedingten Entlassungen soll es jedoch nicht kommen. Severin Weiland

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