PORTRÄT: Für jede Position ein Schlupfloch
■ Der Demokrat Bill Clinton sagt und tut alles, was immer ihm die Wahl sichern könnte
„Aus einem Grund habe ich mich entschieden, trotz meiner Überzeugungen die Einberufung zu akzeptieren: um innerhalb des Systems politisch lebensfähig zu bleiben.“ 23 Jahre alt ist Bill Clinton, als er im Dezember 1969 diese Zeilen schreibt, um dem Direktor des Universitätsprogramms für Reservisten (ROTC) zu erklären, weshalb er dieses Programm verlassen will. Bis dahin hat ihn das ROTC vor einer Einberufung nach Vietnam geschützt. Jetzt will er sich freiwillig dem Risiko aussetzen, in einer Lotterie für den Dienst im Fernen Osten gezogen zu werden. Clinton, der den Krieg ablehnt und mit Verweigerern sympathisiert, weiß schon damals genau, daß er einmal an der Spitze der USA stehen will. Er hat sich, wie er weiter ausführt, schon seit Jahren auf ein politisches Leben vorbereitet. Die Chance, ganz nach oben aufzusteigen, will er sich nicht dadurch verbauen, daß man ihm später einmal mangelnden Patriotismus vorwerfen kann. Clinton hat Glück: Er zieht eine sehr hohe Nummer, der Weg in den Dschungel bleibt ihm erspart.
Sehr viel geholfen hat ihm dieser wohlüberlegte Schritt am Ende nicht. Der Brief kam in die falschen Hände und landete wenige Tage vor der Primary in New Hampshire in den Schlagzeilen. Bill Clinton, der sich gerade wieder einigermaßen von Gerüchten über angebliche Liebesaffären erholt hatte, mußte sich öffentlich für den angeblichen Versuch verantworten, sich der Einberufung entzogen zu haben.
Als Jugendsünde erscheint heute auch das Engagement des 45jährigen für den linken Flügel seiner Partei. Heute hat er sich von diesem Teil der Demokraten weit entfernt und rühmt sich, den Golfkrieg kompromißlos unterstützt zu haben. 1985 war er Mitbegründer des „Democratic Leadership Council“; in ihm waren moderate Demokraten versammelt, die das Image ihrer Partei, die ihnen zu weit nach links zu driften drohte, neu formulieren wollten. Der Politologe Earl Black nennt Clinton wohlwollend einen „progressiven Konservativen“, dessen grundlegende Überzeugungen zwar immer noch progressiv seien, der seine Positionen aber so variiert habe, daß sie von seinen Wählern akzeptiert würden. So erklärt Black auch Clintons Unterstützung der Todesstrafe, ohne die kein Politiker im Süden überleben kann.
Clinton ist zwar für eine aktive Rolle der Regierung, sie soll allerdings zurückhaltend sein. Verantwortung ist ein zentrales Element seiner Politik. So müssen beispielsweise in Arkansas, wo er seit 1979 mit kurzer Unterbrechung Gouverneur ist, Sozialhilfeempfänger die Schulbank drücken. „Workfare“ statt „Welfare“ nennt Clinton das. Diesen Ansatz will er jetzt auch bundesweit verkaufen. Seine Ideen seien detaillierter als die anderer Kandidaten, lobte 'Time‘ sein Wahlkampfprogramm von Steuerkürzungen für die Mittelklasse, Bildungs- und Gesundheitsreform. Schränkte aber ein, daß er als Gouverneur bei der Umsetzung vergleichbarer Programme erhebliche Schwächen gezeigt habe. Ein Journalist aus Arkansas meinte, am Ende habe jede Clinton-Position ein Schlupfloch. So verkaufe er sich etwa als Verfechter eines liberalen Abtreibungsrechts, verwehre aber in Arkansas armen Frauen die Finanzierung eines Abbruchs mit öffentlichen Mitteln. Kritiker werfen ihm Konfliktscheue vor. Er sei ständig bestrebt, es allen recht zu machen. Sie nennen ihn „slick Willy“, was so viel bedeutet wie aalglatt. Clinton, der jetzt die besten Chancen hat, im November gegen George Bush anzutreten, sei, „was immer man von ihm erwartet: Er sagt und tut, was immer ihm die Wahl sichert.“ Das zumindest hat er dann schon einmal mit dem amtierenden Präsidenten gemein. Martina Sprengel
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