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■ Für eine sorglose Zukunft:Keine Abrechnung mit den Tätern

Als am 19. September vergangenen Jahres die polnischen Parlamentswahlen von denjenigen Parteien gewonnen wurden, deren Wurzeln in der ehemaligen Volksrepublik Polen liegen, wurden Stimmen laut, dies sei das Resultat der mangelnden Abrechnung mit dem polnischen Kommunismus. Schon bald wurden sie aber auch durch die Entwicklung in Deutschland widerlegt, wo die „Vergangenheitsbewältigung“ so gründlich wie nur möglich durchgeführt wurde. 17 Prozent der Stimmen für die PDS in den neuen Bundesländern sind nur unwesentlich weniger, als vor einem Jahr die polnische postkommunistische SLD erhalten hat. Die Art der Abrechnung mit dem Kommunismus wird wohl eine Bedeutung für die Geschichtsschreibung haben, hat aber keinen großen Einfluß auf die momentane politische Entwicklung in den postkommunistischen Ländern.

Der polnische Weg war von Anfang an „der Weg vorwärts“: Schon bald stellte sich heraus, daß nicht nur politische Analytiker, sondern auch die einfachen Leute der Abrechnung mit den Tätern keinen großen Wert beimessen. Bei den letzten Wahlen stimmten die Polen lieber für diejenigen, die ihnen eine sorglose Zukunft versprechen, als für die, die in der dunklen Vergangenheit herumstochern.

Dies liegt auch daran, daß der polnische Kommunismus nach 1956 – von ein paar düsteren Monaten des Kriegszustandes abgesehen – ein außergewöhnlich milder war. Es gab eine starke, politisch aktive Kirche, eine private Landwirtschaft, eine (faktisch legale) Opposition. Wir durften ins Ausland reisen, relativ frei reden und illegal gedruckte Bücher lesen. Es war uns auch klar, daß das Abkommen von Jalta, das die Teilung Europas besiegelte, nur ein von Kommunisten regiertes Polen zuließ. Als sich das Rad der Geschichte drehte, folgte dem milden Kommunismus ein milder Antikommunismus. Den Drang nach Abrechnung dämpfte auch die Tatsache, daß polnische Kommunisten auf die Macht „friedlich“ verzichteten. Und dennoch war es für uns ein bißchen unheimlich, fast automatisch in den Dienst des neuen Staates Leute zu übernehmen, die früher den Kommunismus gestützt hatten – Beamte, Polizisten, Lehrer, Direktoren, sogar Diplomaten, Fernsehredakteure, Oberste und Generäle der Armee. Doch was konnten wir tun, da wir keine anderen hatten? Uns stand kein Vorrat an „unbefleckten“ Gesetzen, Institutionen und Menschen zur Verfügung, wie es die BRD für die ehemalige DDR hatte.

Der ehemalige Ministerpräsident Jan Olszewski und sein Innenminister Antoni Macierewicz haben dann doch eine eilige Überprüfung der politischen Eliten durchgeführt. Die „Macierewiczs-Liste“ nannte die Namen der Politiker, die man anhand der Stasi-Unterlagen der Zusammenarbeit mit der Geheimpolizei verdächtigen konnte. Die Öffentlichkeit, die Medien und die politische Klasse haben dieses Unterfangen entschieden verurteilt. Damals kam wohl die Eigenschaft unserer Sensibilität zum Vorschein, die vielleicht am deutlichsten den polnischen und den deutschen Weg unterscheidet. Olszewki und Macierewicz wurden nämlich nicht nur deswegen verurteilt, weil sie leichtsinnig einen politischen Wirbelsturm lostraten, sondern vor allem wegen der Verleumdung von Menschen, deren Schuld gar nicht bewiesen wurde. Es stellte sich später heraus, daß viele von ihnen Stasi-Opfer und keine Agenten waren.

Diesen Unterschied begriff ich erst vor kurzem, als die Gauck-Behörde der Gewerkschaft „Solidarność“ Stasi-Unterlagen übergab, die einen Schatten Verdacht auf Ewa Milewicz warfen – auf eine der herausragenden Gestalten der polnischen Opposition. Die deutsche Behörde hat den Verdacht nicht verifiziert, hat die Personenangaben in den Unterlagen nicht geschwärzt, hat nicht mal Ewa Milewicz gewarnt, daß sie als „Person der Zeitgeschichte“ gilt, und daß ihr Name deswegen der Öffentlichkeit preisgegeben wird. Als dies in Polen Proteste auslöste, antwortete der Sprecher der Behörde im Namen von Joachim Gauck: „In jeder Art von Verwaltung ist Aktenführung immer auch Dokumentation menschlicher Fehler.“

Wir teilen diese Überzeugung beiderseits der Grenze, nur Schlüsse ziehen wir daraus ganz andere. In Deutschland scheint die Überzeugung die Oberhand gewonnen zu haben, daß das Leid der zu Unrecht Verdächtigten eine unabwendbare Begleiterscheinung der notwendigen Abrechnung mit der Erfahrung der Vergangenheit ist. In Polen hat sich hingegen die Überzeugung durchgesetzt, daß die auferstandene Republik kein neues Unrecht zu den vielen größeren und kleineren Unrechtstaten des Kommunismus beifügen darf. Auch wenn es die Straflosigkeit der Täter bedeuten würde, kann man nicht zulassen, daß heute irgend jemand unverschuldet leidet.

Die Erfahrung der „Macierewiczs-Liste“ hat diese Überzeugung befestigt, weil es die hoffnungslose Machtlosigkeit der zu Unrecht Beschuldigten vorführte. Sie können zwar vor Gericht zeigen, daß die Beweise für ihre Schuld fehlen, und eine gerichtliche Genugtuung erzwingen, aber ihr Leben lang werden sie den schweren Schatten der Beschuldigungen tragen, sie werden ihre Unschuld nie beweisen können.

Jetzt kann die Geschichte von Ewa Milewicz die polnischen Archive zusätzlich zumauern. Ich weiß nicht, ob es gut ist, denn ich weiß nicht, was man in diesen – bis heute streng geheimen – Archiven finden kann. Aber ich verstehe nur zu gut den polnischen Innenminister Andrzej Milczanowski, der die Offenlegung der Stasi-Unterlagen kategorisch ablehnt. Denn ich weiß, daß ich mir selbst nie verzeihen könnte, wenn ich einmal – und sei es zufällig – in die neue Zeit auch nur das kleinste Stück Niedertracht des alten Systems hineintragen würde. Jacek Zakowski

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