: Für eine Logik des Friedens
■ Der Golf und die Notwendigkeit einer neuen moralischen Autorität DOKUMENTATION1
Wenn es darum geht, sich in eine schwierige Diskussion einzumischen, ist der Bürger immer schlecht informiert — besonders wenn der Präsident den Staat in eine Kriegslogik geführt hat. Diese offizielle Position möchte ich nicht diskutieren, aber mir liegt daran, das Schweigen der arabischen Intellektuellen zu brechen, das man in Frankreich und anderswo jedesmal bedauert, wenn ein wichtiges Ereignis uns alle aufrüttelt. Ich will die Aufmerksamkeit der höchsten Autoritäten, Entscheidungsträger und öffentlichen Meinung in Europa, Amerika sowie der arabischen und islamischen Welt darauf richten, was eine Friedenslogik in der gegenwärtigen Krise sein könnte.
Bedauern wir zuerst, daß der französische Staatschef schon in seiner ersten Stellungnahme weder den Begriff „Friedenslogik“ eingeführt hat noch die neue langfristige Politik, die dies impliziert.
Man beharrte auf der Notwendigkeit einer Rückkehr zum Recht, aber es gab keine feierliche Verpflichtung im Namen Frankreichs, das Recht überall dort triumphieren zu lassen, wo es in Bezug auf schwache Völker, die gegenüber internationalen Instanzen keine Verteidigungsmöglichkeit haben, seit langem mit Füßen getreten wird. Eine solche Verpflichtung aber wird von allen arabischen Völkern erwartet und gefordert, besonders seit Juni 1967.
Man erinnere sich an die Haltung von General de Gaulle, die Frankreich den Respekt und die Anerkennung aller arabischen Länder einbrachte. Die Beziehungen zwischen den reichsten Ländern der Welt und all jenen, die in unterschiedlicher Form die Kolonialherrschaft erlebten, sind von verschiedenen Umständen beeinflußt worden: dem Krieg, den man einen „kalten“ nannte — an mehreren Stellen der Erde war er heiß; den Strategien der Markteroberung und Marktbeherrschung; dem ungleichen Tausch, der immer hinter verschlossenen Türen zwischen Staaten ausgehandelt wird; der konstanten Vernachlässigung des Schicksals von Völkern unter oft totalitären Regimes. Das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist praktisch auf ein bequemes Alibi reduziert worden, um mit Parteistaaten, die sich dem Vormarsch ihrer Völker zu demokratischen Errungenschaften entgegengestellt haben, „kooperieren“ zu können. Die gegenwärtige Krise hat das Verdienst, einer tiefen Wahrheit zum Durchbruch verholfen zu haben: Jeder schwere Angriff auf die Demokratie irgendwo, genauso wie jeder Verzicht auf die geistige Berufung des Menschen, greift notwendigerweise auch auf diesen „Westen“ über, der meint, seine „Werte“ zu verteidigen, indem er seine Grenzen gegen die „Barbaren“ schließt oder seine militärische Macht zur Schau stellt...
Ja, Europa hat in der Geschichte einen wertvollen Weg zurückgelegt: zur kritischen wissenschaftlichen Erkenntnis, zum Aufbau eines demokratischen Freiraumes, zur besseren Kontrolle des Menschen über seine biologischen, politischen und ökonomischen Umstände. Ja, die Rechte des Menschen — nicht nur des Bürgers — sind ein entscheidender Fortschritt den man auf alle Menschen ausdehnen muß: mittels der Konzipierung, der Einführung und der strengen Anwendung einer internationalen Ordnung, die sich auf eine Ethik gründet und nicht mehr auf die unmenschliche Strategie einer Aneignung von Rohstoffen, die die Vorherrschaft des Nordens über den Süden garantiert. Ja, die arabischen und islamischen Intellektuellen haben sich seit dem 19.Jahrhundert diesem ethischen und politischen Weg der Menschheitsemanzipation verpflichtet — nicht aufgrund eines kulturellen oder religiösen Privilegs, wie es eine fundamentalistische Kampfideologie glauben machen will, sondern weil sie über die Erfahrung der Kolonisation gelernt haben, die Grenzen, die Unzulänglichkeiten und die ideologischen Verirrungen all dieser positiven Errungenschaften Europas aufzudecken, auf die sie sich immer berufen haben!
Ich verteidige weder den „Islam“ gegen den „Westen“, noch die arabische Welt gegen die „Imperialisten“; diese Sprache habe ich seit langem disqualifiziert und abgelehnt. Ich verlange eine Rückkehr zum Recht, nicht mittels Krieg, sondern mittels der Wiederherstellung der UNO als der moralischen Autorität, die von allen Nationen und Völkern in freier Selbstbestimmung definiert und akzeptiert wird. Wenn es diese moralische Autorität vor 1945 gegeben hätte, würde Israel heute in seinen seit 1948 anerkannten Grenzen sicher leben, Palästina hätte sein souveränes Territorium, der Libanon wäre nicht durch eine unbeschreibliche Tragödie zerrissen worden, Ägypten wäre nicht jahrelang ins Abseits gestellt worden, der sich „islamisch“ nennende Fundamentalismus hätte keine Wurzeln schlagen können angesichts des unaufhaltsamen Vormarsches der Völker zur Demokratie... Mohammed Arkoun
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