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Archiv-Artikel

DVDESK Fünf Züge vorausgeplant

„Love Crime“ (Regie: Alain Corneau, Frankreich 2010, 106 Min.), ab ca. 13 Euro im Handel

Die eine, Christine (Kristin Scott-Thomas), brünett, die andere, Isabelle (Ludivine Sagnier), blond: Sie sind einander aber schnell nicht mehr grün. Beide erfolgreich in den höheren Etagen eines international tätigen Agro-Konzerns. Christine ist die Chefin von Isabelle und schickt diese, scheinbar ein Vertrauensbeweis, als ihre Stellvertreterin zum Verhandeln nach Kairo. Auch Philippe kommt mit, Christines Lover, mit dem allerdings Isabelle, ohne zu zögern, ins Bett springt. Was, zeigt sich dann, Christine genau so geplant hat: Wie sie überhaupt niemals etwas ohne Hintergedanken zu tun scheint. Isabelle verhandelt in Kairo erfolgreich, den Triumph aber heftet sich Christine ohne Skrupel ans Revers. Schon ist die Rede von eine Beförderung in Richtung New York.

Isabelle braucht eine Weile, und durchaus eine Weile zu lang, bis sie begreift, was hier gespielt wird: Schach mit Vernichtungsabsicht. Dann versteht sie, zögert, löst die Hochsteckfrisur auf und spielt mit, Vabanque und ohne Rücksicht auf Verluste. Als Zuschauer kapiert man mit einiger Verzögerung auch, was Alain Corneau – der kurz nach Fertigstellung des Films verstarb – hier im Sinn hat, nämlich ebenfalls Schachspiel. Und zwar mit einer Konsequenz, die dazu führt, dass man nicht weiter vermisst, was der Film gar nicht erst bieten will: Beschreibung einer Realität.

Um die Businesswelt als solche, um Bilanzen und Firmenstrategie, um Zahlen und Strukturen, geht es ganz sicher nicht. Die Büros mit ihren Glasfassaden, die Verhandlungszimmer mit ihren von Wellenlinien geschmückten halbdurchsichtigen Scheiben sind reine Kulissen, die Bürotürme im Hintergrund sehen aus wie gemalt. Nie geht es ins Freie, „Love Crime“ ist ein reiner Innenraumfilm. (Brian de Palma hat sein heute im Kino anlaufendes Remake „Passion“ recht konsequent ans Berliner Sony Center verlegt.) Die Lichtsetzung ist flach fast wie fürs Fernsehen, die Szenen und Dialoge sind astrein theaterstückhaft. Von den Krimitrends der jüngeren Zeit, die die Figuren mit alltäglichen Sorgen versehen und dichte soziale Beschreibung behaupten, koppelt sich Corneaus Trockenübung glatt ab.

Er veranstaltet sein Spiel im quasi luftleeren Raum, schiebt Figuren von hier nach da, gibt ihnen außer einem Äußeren und Lust an der Intrige nichts mit auf den Weg: weder ein plausibles Innenleben noch psychologische Erklärungen, die über die fürs strategische Handeln notwendigen Basismotivationen hinausgingen. Die Liebe im Titel ist Behauptung und Rätsel eher als wirklich ein Grund des Verbrechens. Blicke und Liebeserklärungen, Sex und Umarmung bedeuten wenig bis nichts. Rachedrama würde man sagen, wäre Rache hier Movens und Drama das Genre. Nichts davon will im Ernst aber der Film.

Sondern? Allein Konstruktion. Er ist gebaut wie ein Golden-Age-Rätselkrimi, der auf Straßenrealismus aber so was von pfeift. Dem Genre nach allerdings kein Whodunit (denn wer’s war, weiß man gleich), eher ein „Was zum Teufel tut sie denn jetzt?“. Isabelle plant von einem bestimmten Moment an immer vier bis fünf Züge voraus, und das Vergnügen besteht im Nachvollzug des Schritt für Schritt erteilten Nachhilfeunterrichts: Das war der Plan, und so geht es aus. Weil Corneau keine Anstalten macht, die selbst gesetzten Grenzen zu überschreiten, kann man das durchaus genießen. Ob es ideologiekritisch gelesen darauf hinausläuft, dass Frauen allemal so brillant intrigant sind wie Männer oder dass man einer Frau besser keinen Führungsjob anvertraut: eher beides, und beides auch nicht ganz der Punkt.EKKEHARD KNÖRER