Fünf Mark pro Liter

Der Wirtschaftsredakteur K. fährt einen dicken, fetten, alten, behäbigen, blutroten Ford. Die Schüssel ist nicht nur häßlich, sie schluckt auch zwölf Liter Benzin auf 100 Kilometern. Wenn Herr K. an Weihnachten mit seiner Verlobten in die Vogesen reist, wird sein Gefährt, das er liebevoll „der Dicke“ nennt, für die rund 1.800 Kilometer (hin und zurück) 240 DM an Benzin fressen, 120 DM pro Person. Vergleicht man diesen Preis mit der Bahnfahrkarte bis Colmar, ist die Entscheidung für den „Dicken“ gefallen. Auch wenn man die Unterhaltskosten bis zum Reifenabrieb hineinrechnet, bleibt „der Dicke“ klarer Sieger nach Punkten.

Macht man dieselbe Rechnung für einen Benzinpreis von fünf DM auf, ist das Ergebnis genauso klar, „der Dicke“ bliebe in der Garage beziehungsweise er würde früher oder später gegen einen „dünnen“ Renault R5 ausgetauscht. (Wie im Falle des Ökoredakteurs K.; d. Red.) Er könnte auch einem windschlüpfrigen Toyota weichen, der bei Tempo 90 exakt 2,3 Liter Benzin verbraucht. Dieser Spar-Japaner ist bereits entwickelt, hat aber gegenwärtig wegen des niedrigen Benzinpreises keine Marktchancen.

„Aber halt!“ rufen die ersten und tippen mit dem Zeigefinger gegen die gerunzelte Stirn: „Fünf Mark, das ist doch ...!“ Denen könnte man entgegnen, daß die Autofahrer in den sozialistischen Ländern durchaus solche und noch höhere Benzinpreise bezahlen, wenn man deren Einkommen und Benzinpreise auf bundesrepublikanische Verhältnisse umrechnet. Aber die fünf Mark sind auch für bundesdeutsche Verhältnisse berechtigt, sie sind wahrscheinlich noch zu niedrig angesetzt. Die Rechnung ist einfach, selbst Betonköpfe mit Bleifüßen können sie nachvollziehen. Die fünf Mark ergeben sich aus dem Verursacherprinzip. Dieses Prinzip, das von Umweltpolitikern aller Parteien hochgehalten wird, besagt, daß derjenige, der die Kosten verursacht, auch dafür haften soll. Die Autofahrer tun dies nicht. Die von ihnen verursachten Kosten werden nur zu einem Teil über Mineral- und Kfz-Steuer oder über Versicherungsbeiträge abgedeckt.

Ein einleuchtendes Beispiel: Bei Unfällen mit Personenschäden decken die Versicherungen in der Regel nur den entstandenen Schaden der Unfallopfer. Wird der Unfallverursacher dagegen mit einer Platzwunde ins Krankenhaus eingeliefert, bezahlt dies die gesetzliche Krankenversicherung und damit auch jeder Fußgänger und Radfahrer mit seinem Beitrag. Im Jahresdurchschnitt wurden seit 1960 etwa 500.000 Personen im Straßenverkehr verletzt. Die Hälfte dieser Verletzten deckte ihre Kosten für ärztliche Versorgung über die gesetzliche Krankenversicherung. Eine ähnliche Umverteilung der Kosten durch den Autoverkehr findet auf vielen Gebieten statt. Vom Verkehrspolizisten, den jeder Fußgänger mitbezahlt, bis zur Kilometerpauschale, die steuerlich absetzbar ist, von der Altölentsorgung bis zur Deponierung von jährlich 400.000 Tonnen Altreifen - überall werden die Kosten des Autoverkehrs vergesellschaftet, wird das Verursacherprinzip außer Kraft gesetzt. Und auch beim Straßenbau zahlt der Autofahrer zuwenig.

Schweizer Verkehrswissenschaftler haben die Rechnung aufgemacht und einen Benzinpreis von vier Franken ermittelt, für den Fall, daß die gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs voll auf die Mineralölsteuer aufgeschlagen werden. Solche Rechnungen sind allerdings waghalsig, denn viele Kostenfaktoren sind unbestimmbar. Wer kann zum Beispiel den Anteil der Autofahrer an der Entnadelung der deutschen Forste quantifizieren? Wer will jährlich eine Million tote Igel in Mark und Pfennig ausdrücken oder die Gebäudeschäden durch Autoabgase hochrechnen?

Wenn man dies ablehnt und ehrlich ist, kann man nur grob abschätzen. Ob man bei vier oder fünf Mark als Benzinpreis landet, ist im Grunde „Gefühlssache“ oder eine Frage der eigenen libidinösen Bindung an das Auto. Da wir beim Spritverbrauch aber ohnehin häufig vom „Saufen“ eines Autos reden, könnten wir diese Analogie zum Bier auch auf den Benzinpreis übertragen. Und wenn ein Liter Benzin dann soviel wie eine Maß kostet, sind wir mit fünf Mark dabei.

M. Kriener