: Fuck you im Flüsterton
Unsere Generation mag unauffällig sein. Ungefährlich ist sie deswegen noch lange nicht. Sieben taz-Praktikanten haben sich das taz.mag geschnappt und ein prak.mag draus gemacht. Acht Seiten über den Selbstfindungstrip der Mittzwanziger von Sabotage bis Wäschefalten
VON DANIEL VON FROMBERG
„Ihr“, sagt er verächtlich, „ihr seid so angepasst“. Ach so. „Ihr habt keinen Biss.“ Alles klar. Fehlt sonst noch was? „Eier in der Hose.“ Gerne. „Utopien.“ Komm, lass laufen. „Kritikfähigkeit.“ Jetzt vorsichtig. „Ihr seid unpolitisch.“ Stopp. Ich lehne mich zu ihm rüber und gebe ihm in meinem besten Clint-Eastwood-Tonfall zu verstehen, dass es mir reicht mit diesen selbstgefälligen Ex-, Post- oder Altlinken und ihrem stetig anschwellenden Bocksgesang über „meine Generation“. Was das überhaupt sein soll: „unsere Generation“ – abgesehen von einem Marketingkonstrukt, alljährlich ins Leben gerufen von mehr oder minder talentierten AutorInnen. „Ich will dir mal was erzählen über unsere Generation“, raune ich und rücke näher an ihn heran. Ich lenke seinen Blick auf die anderen Leute im Café. Laptop-Heinis, Szenemenschen, urbane Penner, Mitte zwanzig, vielleicht Anfang dreißig. Seitenscheitel, Dreitagebärte, schräge Ponys, Flip-Flops. Was haben „wir“ außer dem Äußeren gemeinsam?
Wenn überhaupt etwas, dann vielleicht, dass „wir“ vor zirka fünfzehn Jahren auf Tanzflächen in Provinznestern zusammen mit hundert anderen „Fuck you, I won’t do what you tell me!“ und „Sabotage!“ gebrüllt haben. Jetzt aber sitzen „wir“ hier, schlürfen Latte Macchiato, haben prekäre Jobs und tun, was man uns sagt. Das schmerzt vielleicht einige – diejenigen, die es damals so gemeint haben. Die immer noch versuchen, ein divergentes Leben zu leben, auch wenn sie genau wissen, dass es vielleicht nicht „das Richtige“ ist (das es aber im Falschen ja eh nicht gibt). Diese Menschen kämpfen jeden Tag kleine Kämpfe. Zum Beispiel darum, nicht den Weg in eine „bürgerliche Existenz“ zu gehen – auch wenn sie einiges daran schätzen. Vielleicht um Jobs, die mehr bringen als nur Geld. Um die Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit. Sie stemmen sich gegen den Zeitgeist, wenn sie sich für ihr soziales Umfeld entscheiden und gegen einen Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land nur aus Karrieregründen. Sie entscheiden sich dann vielleicht auch dafür, mit weniger Geld auszukommen oder kündigen sogar gut bezahlte Jobs, weil ihnen andere Dinge im Leben wichtiger sind. Sie kaufen im Bioladen, gehen in Fair-Trade-Cafés oder beziehen Ökostrom. Nicht Großes, aber immerhin. Sie studieren „Orchideenfächer“ über die vorgeschriebene Zeit und eignen sich kritisches Wissen über die bestehenden Verhältnisse an. Sie engagieren sich politisch, vielleicht bei Greenpeace, bei Attac oder der Antifa. Dort bilden sie touristische Vereinigungen, und treffen sich zu Tausenden, zum Beispiel beim G-8-Gipfel.
Sie machen all das – aber sie machen keinen großen Wind darum, denn sie wissen: Die Revoluzzergeste stirbt zuerst, zumal wenn es nur eine Geste ist. Sie wissen zudem, die Verhältnisse haben sich geändert und sind nicht so einfach „zum Tanzen zu bringen“, wie es in der Dorfdisco vielleicht schien. Die Verhältnisse sind sogar zum großen Teil ganz und gar nicht tanzbar, sondern fordern dem/der Einzelnen ein hohes Maß an Widerstandskraft ab. Renitenz aber ist eine Kunst, die erlernt werden kann und die bekanntermaßen am besten im Ensemble funktioniert. Das Problem ist nur: Die Räume, wo sich ein solches zum Proben treffen könnte, werden mit jedem Tag weniger, enger und teurer. Da hilft es auch nicht besonders, dass die eigene Elterngeneration wenig zum Vorbild taugt. Wer als wilder „68er“ noch zum „Marsch durch die Institutionen“ geblasen hatte, verendete meist doch gemütlich im Einfamilienhaus, im Ministerium oder manchmal auch im gesellschaftlichen Abseits. Zu wissen, dass so manch divergenter Lebensentwurf einigen der Älteren heute meist nur noch als cooles Schmückwerk dient, um den Verlust oder gar die Abkehr von einstigen Idealen unter Rekurs auf die eigenen „radikale“ Vergangenheit wortreich aufzuhübschen, hilft uns bei unseren kleinen Kämpfen wenig. Wir ahnen, auch uns wird es so ergehen – und wissen eigentlich: Es ist uns ein Stück weit schon so ergangen. Die gefühlte Unsicherheit ist allenthalben größer geworden, und die Träume von einem anderen Leben enden auch für uns immer häufiger bei Ikea. Diese Unsicherheit begünstigt ein Klima der Angst: Werde ich es schaffen – und wenn ja: wohin? Will ich vielleicht doch Absicherung? Will ich Anerkennung – wofür und von wem? Was erwarten meine Eltern von mir? Muss ich mich verbiegen, und wenn ja: wie weit? Und die Unsicherheit ergreift auch das Denken. Das Scheitern des realsozialistischen Experiments hat auch bei uns seine Spuren hinterlassen: Ambivalenzen, wohin man schaut. Was ist heute „politisch richtig“ – und was „richtig politisch“? Was heißt „Kritik“ überhaupt noch? Wie kann man sie formulieren? Ist es überhaupt noch sinnvoll, an Utopien zu denken, wenn man sich die historischen Schrecken vergegenwärtigt, die mit Verweis auf ihr baldiges Erreichen legitimiert wurden? Fragen, lauter Fragen.
„Sag ich doch“, meint er trocken, „ihr seid eben so unsichere Wischiwaschitypen.“– „Du hast mich anscheinend nicht verstanden“, knurre ich. Das mit den Fragen ist doch gar nicht unser Problem – eure Suche nach eindeutigen Antworten ist es. Doch „wir“ entziehen uns diesem Blick. „Wir“ brauchen die erhobene Faust und die hohle Phrase nicht mehr. „Wir“ bedürfen keiner autoritären Idolfiguren, keines Che Guevara und keines Mao Tse-tung. „Wir“ brauchen auch keine Eier in der Hose, keine Politmacker-Attitüden – „wir“ haben all das Getöse nicht nötig. Denn „wir“ wissen, dass das Politische der Gott der kleinen Dinge ist. Deswegen wissen „wir“ auch: Der Beat, der die Verhältnisse zum Tanzen bringt, ist entweder queer, feministisch, basisdemokratisch und antinational getaktet – oder es ist nicht unser Beat. Dementsprechend können „wir“ auch nie genau sagen, wohin die Reise geht, nennen das aber unsere größte Stärke. Denn „wir“ pfeifen auf den herrischen Gestus der Gewissheit. „Wir“ ziehen unsere Stärke aus der Kraft des Zweifelns und der Schönheit des Scheiterns. Sie haben uns gelehrt, geduldig zu sein. Die Möglichkeit der Kapitulation macht uns keine Angst. Mit gemessenem Schritt gehen „wir“ voran: gemeinsam, zweifelnd, unsicher und doch beständig. Und „wir“ sind vor allem dabei ganz vielfältig, weswegen „wir“ auch nicht so gut auf den ersten Blick zu erkennen sind. „Wir“ fallen nicht auf. Deswegen werden „wir“ auch gerne unterschätzt. „Wir“ taugen nicht zum großen Bohei, geben wenig sensationelle Bilder ab und versammeln uns nicht in Parteien oder in stiernackig besetzten Talkrunden – „wir“ sind vielmehr wie die Maulwürfe. „Wir“ bewegen uns unterm Radar, beharrlich grabend: mit unseren ruhigen Stimmen, unseren unscheinbaren Worten und unseren unaufgeregten Bewegungen. Mit unseren Seitenscheiteln, Flip-Flops und Laptops.
„Kannst du es hören?“, frage ich ihn. Uns begleitet ein Summen, ganz leise und vielstimmig: „Fuck you, I won’t do what you tell me“? Ertappt man eine(n) von uns beim Mitsummen, setzen wir schnell unser selbstironisches Grinsen auf, zahlen unseren Kaffee, lassen Trinkgeld für die prekär beschäftigte Bedienung da und gehen auf die Straße. Das Grinsen ist da schon lange wieder weg. Doch wir graben weiter.
DANIEL VON FROMBERG, Jahrgang 1978, ist Mitglied des Bildungsnetzwerks reflect! e. V. Er promoviert an der FU Berlin über das Thema „War on Terror“ als neue Weltauffassung