: Frühlingserwachen in Nepal
Neue Regierung demontiert königlichen Unrechtsstaat und erwidert Waffenstillstand der Maoisten. Deren Entwaffnung wird wohl nur unter UN-Aufsicht erfolgen können
DELHI taz ■ Mit bemerkenswerter Effizienz hat die neue nepalesische Regierung erste Schritte für eine neue politische Ära unternommen. In zehn Tagen hat sie nicht nur die ersten Grundlagen für die Wahl eines Verfassungsrats gelegt, sie hat auch Institutionen gesäubert und Dekrete abgeschafft, mit denen König Gyanendra in den letzten vier Jahren die Demokratie ausgehöhlt hatte. Am verhängnisvollsten waren jene, welche die Meinungsfreiheit einschränkten. Sie gingen von längeren Haftstrafen für Journalisten bis zum Maulkorb gegen die populären Lokalradios, die nur noch Unterhaltung senden durften. Bei einer Reihe von Verwaltungsstellen, darunter Botschafterposten, wurden die Personen mit sofortiger Wirkung abberufen.
Eine weitere Verfügung, welche Nichtregierungsorganisationen einer einschnürenden staatlichen Kontrolle unterworfen hatte, wurde ebenfalls annulliert. Zwei Kommissionen sollen jetzt die Verschwendung öffentlicher Gelder und Vorwürfe über Gewaltanwendung bei den Protesten im letzten Monat untersuchen. Insgesamt starben 22 Zivilisten, die meisten durch Polizeikugeln.
Noch wichtiger sind erste Maßnahmen zur Errichtung einer neuen Staatsordnung. Entscheidend dabei ist im Augenblick nicht die Zukunft der Monarchie, sondern die Einbeziehung der Maoisten. Diese zeigten durch ihr diszipliniertes Verhalten während des Volksaufstands vom letzten Monat – kein einziger Schuss fiel in Richtung Polizei oder Armee – dass sie ernst machen wollen mit dem Bekenntnis zur Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie. Ihr einseitig erklärter Waffenstillstand wurde nun auch von der Regierung erwidert. Damit ruhen erstmals seit über fünf Jahren die Waffen.
Die Regierung leitete auch rechtliche Schritte zur Aufhebung des Verbots der Maoisten als einer terroristischen Organisation ein und annullierte die internationalen Haftbefehle gegen die Führer der Guerilla. Gleichzeitig wurden Verfahren für eine Amnestie und Freilassung von mehreren hundert politischen Gefangenen eingeleitet.
Der nächste Schritt werden Gespräche zwischen Parteien und Maoisten sein, für welche die Übereinkunft vom letzten November in Delhi eine gute Basis darstellt. Sie dürften in der Auflösung des Parlaments und der Bildung einer Interimsregierung münden, in der auch die Maoisten sitzen, und die dann die Wahl der verfassunggebenden Versammlung vorbereitet.
Die heikelste Frage ist dabei die Entwaffnung der Guerilla. Niemand glaubt, dass die Maoisten ihre Waffen einfach niederlegen werden. Solange die Armee der Kontrolle des Königs nicht entzogen worden und dem Parlament unterstellt ist, wird sich ihr misstrauischer Gegner sicher nicht entwaffnen und erst recht nicht in die Armee eingliedern lassen.
Es wird also darum gehen, die bewaffneten Kader unter eine internationale Überwachung in definierten Schutzräumen zu stellen. Es bestehen kaum Zweifel, dass diese Rolle der UNO zufallen muss. Indien hat sich in der Vergangenheit immer dagegen gewehrt, da es einen Präzedenzfall wegen Kaschmir befürchtet. Doch angesichts der Dringlichkeit einer neutralen Überwachung des Übergangsprozesses scheint sich Delhi zu fügen.
Beobachter sind sich einig, dass der schwierige Weg zur echten Demokratie erst begonnen hat. Obwohl während der Proteste erstmals auch Politiker aus der ländlichen Peripherie in Erscheinung traten, wird Nepals Politik immer noch von einer Nomenklatura aus dem Kathmandutal und aus höheren Kasten beherrscht. Unter diesen gibt es eine Reihe, darunter Premierminister G. P. Koirala, die weiterhin für eine Monarchie nach britischem Muster einstehen. Die Maoisten, aber auch die „sozialdemokratischen“ Kommunisten der CPN-UML und viele zivilgesellschaftliche Gruppen trauen dem König nicht und wollen eine republikanische Verfassung.
Auch die Maoisten haben Mühe, ihr Fell zu wechseln. Im ganzen Land ist seit einigen Tagen eine umfassende Erpressungskampagne im Gang. Sie könnte den Zweck verfolgen, die Kriegskasse für kommende Wahlkämpfe zu füllen – und schlimmstenfalls für eine Rückkehr in den Untergrund. BERNARD IMHASLY