■ Mit Konjunkturhoffnungen auf du und du: Frost und Frust
Bonn (dpa/taz) – Anders als die Bundesregierung rechnen die Unternehmer nicht damit, daß die Rezession schon fast vorbei sei. Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT), in dem sich die regionalen Industrie- und Handelskammern zusammengeschlossen haben, erwartet für 1994 einen weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung im Westen um etwa 0,5 Prozent. Er ist damit weitaus pessimistischer als die Bundesregierung und die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die kürzlich für 1994 ein Prozent Wachstum in den alten Ländern vorausgesagt hatten.
„Die Stimmung der westdeutschen Wirtschaft befindet sich auf einem Tiefpunkt“, sagte Hauptgeschäftsführer Franz Schoser gestern zu den Ergebnissen der traditionellen Herbstumfrage des DIHT bei 20.000 westdeutschen und 5.000 ostdeutschen Unternehmen. Weil Wirtschaft bekanntlich zu mindestens 50 Prozent aus Psychologie besteht, hat die miese Stimmung direkte Auswirkungen auf die Investitionsneigung und das Schaffen neuer Arbeitsplätze.
Laut Schoser kann die Wirtschaft in den neuen Ländern mit sechs bis acht Prozent Wachstum 1994 rechnen. Daraus ergebe sich für Gesamtdeutschland ein „Ergebnis nahe null“. Ostdeutsche Produkte hätten es immer noch schwer, auf internationalen Märkten konkurrenzfähig zu sein. Hauptgrund für den Beschäftigungsabbau in den neuen Ländern, der sich nach der DIHT-Umfrage verlangsamen wird, sei nach wie vor das hohe Lohnniveau.
Die schlechte Prognose für Westdeutschland begründete Schoser damit, daß sich die Talfahrt der Wirtschaft zwar verlangsamt habe, aber noch „lange Schatten“ auf der Konjunktur lägen. „Das frostige Investitionsklima hat sich verfestigt“, sagte Schoser. Die westdeutschen Unternehmen würden 1994 erneut weniger investieren. Hauptursache seien fehlende Absatzperspektiven, nicht ausgelastete Kapazitäten und starke Ertragseinbußen durch zu hohe Arbeitskosten. Auch der Beschäftigungsabbau werde sich deshalb fortsetzen. Positive Erwartungen richteten sich vor allem auf die Belebung des Exports.
Nach der DIHT-Umfrage ist die Zahl der westdeutschen Unternehmen, die die derzeitige Konjunktur für schlecht halten, von 31 Prozent im Frühjahr auf jetzt 41 Prozent gewachsen. Allerdings stieg auch der Anteil der Unternehmen, die mit einer Besserung rechnen, von zwölf auf 20 Prozent. Die Unternehmen ständen vor einem enormen Rationalisierungsdruck, der zu einem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen zwinge, meinte Schoser. Vor allem die Lage in der Industrie erfordere weitere Einschnitte.
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