FÜR DIE KUNDEN BRINGT EIN BÖRSENGANG DER BAHN NICHTS : Frommes Märchen
Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee erzählt ein schönes Märchen: Lang herrschte Zwietracht im Land – doch nun habe man eine Superlösung für die Bahnprivatisierung gefunden. Künftig werde mehr Verkehr auf der Schiene abgewickelt und sowohl die DB als auch die Fahrgäste werden glücklich und zufrieden sein. Doch leider, leider: Weder Tiefensee noch sonst jemand kann einen Grund nennen, wie der Kompromiss eine solch märchenhafte Entwicklung auslösen könnte. Schließlich ist es der DB in den vergangenen zwölf Jahren nicht gelungen, trotz immenser öffentlicher Investitionen den Verkehrsanteil auf der Schiene zu erhöhen; in einigen Bereichen ist er sogar gesunken.
Jetzt soll ein privater Investor ein paar Milliarden Euro mitbringen – und sonst bleibt alles beim Alten. Wie bisher darf die DB das Schienennetz betreiben und wie bisher wird sie dafür sorgen, dass andere Bahnen schlechtere Konditionen bekommen als sie selbst. Betriebswirtschaftlich gesehen ist das absolut rational und jeder Investor wird darauf bestehen, dass das De-facto-Monopol vertraglich langfristig gesichert wird. Doch warum, bitte schön, sollte das mehr Kunden anlocken?
Für die Kunden bringt ein DB-Börsengang keinen Vorteil, auch wenn die Regierungsparteien das suggerieren. Die DB hat sogar schon angekündigt, dass sie die frischen Milliarden keineswegs in die Verbesserung des deutschen Angebots stecken will, sondern in osteuropäische Verkehrsmärkte. Damit setzt sie ihre bisherige Politik fort: Auch in der Vergangenheit hat sie vor allem in internationale Logistikunternehmen investiert, die Güter per Lkw, Schiff und Flugzeug transportieren.
Damit sich im deutschen Schienenverkehr etwas verbessert, müsste Konkurrenz das Geschäft beleben. Jeder Bahnbetrieb – ob privat oder staatlich – müsste gleiche Zugangsbedingungen zu den Schienen haben. Doch genau das wird durch den jetzt gefundenen Kompromiss verhindert. Allerdings ist die Debatte noch nicht zu Ende. Denn die Vorstellung, den Besitz des Schienennetzes juristisch und betriebswirtschaftlich trennen zu können, gibt es nur im Märchen. ANNETTE JENSEN