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taz FUTURZWEI

Friedrich Merz greift an Grüne Wirtschaft ohne Grüne?

Wenn die Grünen wirklich den ökologischen Umbau organisieren wollen, muss Vizekanzler Habeck endlich einen Pakt mit der zur Modernisierung bereiten Wirtschaft schließen, meint Udo Knapp. Sonst macht es die CDU.

Merz plötzlich Klimakanzler? Da kann sich Habeck nur umgucken Foto: Foto: Bernd von Jutrczenka/picture alliance/dpa

taz FUTURZWEI | „Für die realistischen Zukunftsinteressierten in und außerhalb der Partei geht es darum, eben nicht in die Habeck-Baerbock-Duell- und Radikaler-werden-Fallen zu tappen, sondern das Vertrauen in eine gesamtgesellschaftlich orientierte Kraft des gemäßigt Progressiven auf der Höhe der Zeit neu und besser zu begründen.“ (Peter Unfried in der taz)

Vierzig Jahre nach ihrer Gründung sind die Grünen mit ihrem Anspruch, die ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft politisch zu steuern, „staatstragende Systempartei“ geworden. Ihre einst ideologisch aufgehübschten Utopien mit viel selbstbefriedigendem Überschuss an Moral und Besserwissen haben die Grünen in konkrete Gestaltungsaufgaben übersetzt, die in Regierungsverantwortung umzusetzen sind. Die Europäische Union auf dem Weg zum Bundesstaat, die feste Einbindung der Bundesrepublik ins transatlantische Bündnis und die Nato, die Vertiefung horizontaler und vertikaler, völkerrechtlich verbindlicher Strukturen, ein ökologisch neu zu buchstabierender Sozialstaat und die Befestigung der Demokratie, inklusive einer Demokratie sichernden Einhausung von Digitalisierung und KI ins Gefüge des Rechtsstaates, sind ihr Programm geworden, das weit über ihre traditionelle Klientel hinaus durchaus mehrheitsfähig ist.

Aber anstatt zu absoluten Mehrheiten hat dieser Emanzipationsprozess die Grünen zurück in den 10 Prozent-Keller geführt. Der Fortgang der Zivilisation, das Eintreten in die nächste industrielle Revolution, der Ausstieg aus der fossilen Weltformel, das alles ist kein linearer Prozess und schon gar kein Selbstlauf: Das erschreckt und lähmt die grünen Protagonisten.

Politisch abgesicherter Kapitalismus

Ein Blick in die Geschichte des freiheitlichen Westens in den letzten 200 Jahren hilft da weiter. Nach der Gründung des demokratischen Amerikas und der französischen Revolution gab es viele Umwege und auch Rückschläge, bis die Staaten und Verfassungen im Westen demokratisch funktionierten. Dazu gehören die Wiederherstellung der reaktionären Fürstenherrschaft nach dem Sieg über Napoleon, das Niederschlagen der 1848er Revolution, der Aufstieg der imperialistischen Nationalstaaten und deren Kriege, der Kolonialismus, der Klassenkampf, Antisemitismus und Rassismus, der I. Weltkrieg, das Scheitern der Weimarer Republik, der Nationalsozialismus und der von den Deutschen verursachte II. Weltkrieg.

Die großen Treiber des Fortschritts der westlichen Zivilisation parallel zu diesen Entwicklungen aber waren die Herren der fossilen und wissensbasierten Industrien. Die haben sich mit Erfolg immer jenen angeschmiegt, die gerade an der politischen Macht waren und die Ihre Geschäfte gegen alle rationalen und irrationalen Einwände zugelassen oder zumindest nicht behindert haben. Dieser politisch abgesicherte Kapitalismus war die perfekte Zivilisierungsmaschine für die Menschheit. Was nicht dazu verführen soll, die Opfer dieses Prozesses, die ihn mit ihrer Arbeit, ihrer Unterdrückung, ihrem Leben bezahlt und ermöglicht haben, als hinzunehmendes Kollateralgeschehen abzuschreiben.

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Ökonomische Zukunft nur jenseits der Fossilen

Aber aus der Geschichte lernen? Beliebter und mehrheitsfähiger ist im Moment die Flucht vor den unvermeidbaren Zumutungen der sich wandelnden Wirklichkeit. Wenn die Grünen dennoch ihre Chance nicht aufgeben wollen, den ökologischen Modernisierungsprozess anzuführen, wird ihnen nichts anderes bleiben, als den von ihnen in der Regierung eingeschlagenen Kurs des Umbaus der Industriegesellschaft mit den machbaren Schritten und Projekten weiter zu verfolgen, auch wenn es keine ganzen, sondern eher halbe Schritte sind.

Alle Wirtschaftszweige haben längst begriffen, dass es eine ökonomische Zukunft für sie nur jenseits der Fossilen gibt. Sie arbeiten am Umbau ihrer Produktionsprozesse. Diese spannenden Prozesse können täglich im Wirtschaftsteil der FAZ verfolgt werden. Hier kommunizieren die Großen und Kleinen der deutschen Wirtschaft ihren ökologischen Umbau. Es bleibt schon lange nicht mehr bei Ankündigungen. 2022 wurden, zum Beispiel, allein mit Klimaschutzinvestitionen der deutschen Wirtschaft 61,7 Milliarden Euro erwirtschaftet, 35.000 neue „green jobs“ geschaffen. Insgesamt gab es 2022 bereits 376.000 Arbeitsplätze, die man als „grün“ bezeichnet. In die Verbesserung der Luftreinhaltung und die Ökologisierung der Abwasserwirtschaft wurden laut Statistischem Bundesamt zusätzlich 31,8 Milliarden Euro investiert. Will sagen: Der überwiegende Teil der Wirtschaft klebt nicht am Fossilen, er ist bereits mittendrin im ökologischen Umbau. Die Politik aber findet keinen Weg, sich in dieser Modernisierungswelle steuernd zu verorten. Und bei den Grünen bestimmt immer noch das Bild von den allein auf ihren Profit fixierten Kapitalisten den Blick auf die Wirtschaft.

Pakt mit dem Kapital

Aber den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft muss vor allem die Wirtschaft stemmen. Die Folgen dieses Umbaus für jeden Einzelnen werden beachtlich sein, aber für seinen Erfolg sind sie nicht der entscheidende Parameter. Bis heute gelingt es den Grünen nicht, für diesen ökologischen Umbau, für den sie sich gegründet haben, einen Pakt mit dem zur Modernisierung bereiten großen Kapital zu schließen und gemeinsam die für den Umbau notwendigen Rahmenbedingungen zu identifizieren und politisch abzusichern. Grüne und Wirtschaft finden bis heute keine gemeinsame, auf eine ökologische Zukunft ausgerichtete, Sprache.

Noch haben die Grünen die Chance, diesen Fehler zu korrigieren. Statt Vizekanzler Habeck in ein sinnloses Duell mit Außenministerin Baerbock um die Führungsrolle im nächsten Wahlkampf zu jagen, sollte er jetzt den klaren Auftrag bekommen, die Partei in diesen ökologischen Pakt mit der Wirtschaft zu führen.

Gelingt das den Grünen nicht, wird die CDU diese Aufgabe übernehmen. Merz' abrupte Beendigung seiner Verteufelung der Wärmepumpe und die zumindest verbale Korrektur des dadurch angerichteten wirtschaftlichen Schadens, zeigen, dass er seine Chance begriffen hat. Er bereitet seinen Wahlkampf schon jetzt mit der Ansage vor: Nur die CDU kann den ökologischen Umbau gemeinsam mit der Wirtschaft stemmen; die Grünen brauchen wir dazu nicht. Noch haben die Grünen die Chance, den Job zu übernehmen und sich damit doch noch in Richtung Kanzleramt zu bewegen. Viel Zeit bleibt ihnen nicht

■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.