Friedenseiche in Lichtenhagen abgesägt: Der Fuchsschwanz greift durch
Die Friedenseiche, die zum Gedenken an das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen gepflanzt wurde, ist weg. Linke Aktivisten nahmen sich ihrer an.
BERLIN taz | Fangen wir etwas lyrisch an: „Sie ist so groß und unvorstellbar stolz, weil sie aus diesem harten Holz, das man auch Deutsche Eiche nennt, die jeder wohl im Lande kennt.“ (Klaus Wilhelm von Ameln) „Fest wie uns’re Eichen halten allezeit wir stand, wenn Stürme brausen über’s deutsche Vaterland.“ (Niedersachsenlied, vermutlich von Hermann Grote)
Des Deutschen liebster Baum, die Eiche. Auch bekannt als Hitler-Eiche. Im Dritten Reich war das Pflanzen von ebendieser seit Mai 1933 ein gängiges Ritual. In Rostock, genauer gesagt: in Rostock-Lichtenhagen, heißt diese Eiche anders. Dort heißt sie Friedenseiche.
Und genau diese Friedenseiche wurde in der Nacht zum Mittwoch abgesägt. Erst am Sonntag war sie im Beisein von Bundespräsident Joachim Gauck zur Erinnerung an die ausländerfeindlichen Ausschreitungen vor 20 Jahren gepflanzt worden. Die Baumfällung sei von Anwohnern bemerkt und gemeldet worden, teilte die Stadtverwaltung mit. Die Kommune werde Anzeige erstatten und einen neuen Baum pflanzen.
Die Tageszeitung Junge Welt forderte bereits am Dienstag: „Das NS-Symbol muß weg, denn 'jeder nazistischen und militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen', heißt es unter Abs. III, Buchst. A, Ziff. III des Potsdamer Abkommens der Alliierten der Anti-Hitler-Koalition vom 2. August 1945, auf das sich auch der Zwei-plus-vier-Vertrag von 1990 bezieht.“
Und nun ist es passiert. Die „AG antifaschistischer Fuchsschwanz“ (allein der Name evoziert gleichzeitig Sanftheit und Stärke) bekannte sich am Mittwochmorgen auf der Internetseite von //linksunten.indymedia.org/de/node/66240:linksunten zu der Baumfällung: „Wir haben in der Nacht vom 28. auf den 29. August, gegen halb 2, in etwa einem Meter Höhe, die Eiche neben dem Sonnenblumenhaus abgesägt. Denn dieses Symbol für Deutschtümelei und Militarismus ist für die Menschen, die 1992 dem Mob in Rostock-Lichtenhagen ausgesetzt waren, ein Schlag ins Gesicht.“
Politiker sehen das Absägen der Eiche als Indiz, dass der Aufarbeitungsprozess noch längst nicht beendet sei. „Wir werden weiter an Lichtenhagen 1992 erinnern und auch in Zukunft damit leben müssen, dass Lichtenhagen auch als Plattform für Diskussionen um Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Asylpolitik dient“, so die Rostocker Senatorin für Soziales Liane Melzer (SPD).
Warum, oh warum musste denn gerade eine Eiche gepflanzt werden? Hätte es nicht eine Trauerweide getan? Die Seitenzweige von ebendieser wachsen in sogenannter Trauerform und hätten die Scham und das Entsetzen über die Geschehnisse vor 20 Jahren in Rostock-Lichtenhagen definitiv besser zum Ausdruck gebracht als die stolze Deutsche Eiche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“