Friede, Freude etc.: Eierkuchensozialismus
■ Love Parade? Auf zur Karl-Marx-Allee!
Paul van Dyk hat mal gesagt, Techno sei der erste Bereich im sozialen Leben Gesamtdeutschlands, in dem eine Wiedervereinigung stattgefunden habe.
Ich sage, die Love Parade muß in Zukunft auf der Karl- Marx-Allee stattfinden.
Vor keiner anderen Kulisse der Welt kämen Millionen Raver besser als vor dieser volkstümlich-weltstädtischen Zuckerbäckerarchitektur, nicht in Paris, nicht in Tokio und am wenigsten auf der Avus. Die Karl- Marx-Allee war – als Stalinallee – ein Symbol der Freiheit und des Friedens, eine Hoffnung auf eine neue Gemeinschaft, die damals Sozialismus hieß und heute Eierkuchen. Wo disziplinierte Brigaden ihre Norm tagtäglich überfüllten, könnten wir jungen, manischen Mittelständler heute unsere Glückskörper schütteln. Schweiß und Stahl und digital. Wir könnten traditionsbewußt an den Fortschritt glauben, im Maschinentakt. Wir könnten so tun, als wären wir wieder was, nach der letzten Wende, kurz vorm nächsten Wirtschaftswunder. So wie 1950. Ein urchristliches, kuschliges Irgendwiezusammengehörigkeitsgefühl gehört einfach in diese unsere Welt der Vereinzelung. Die Utopie ist jetzt und hier. Und hinterher? Wieder Büro und Einsamkeit, Fernsehen und Steuererklärung.
Aber zurück zur Allee der Liebe. Fern von KaDeWe, Kranzler und verpißten Büschen forsch hinein ins neue Leben, zurück zur alten Bestimmung: Hier sollte wieder kultisch inszeniert werden, was nicht ist. Wie die freiwilligen Steineklopfer und Trümmerfrauen dem Staat fünf Millionen Mark ersparten, schenken die Raver der Stadt jährlich zehn Millionen Mark Steuern. Wie damals von Arbeitern die Ruckzuck-Karren erfunden wurden, um effizienter Steine zu transportieren, wiegen wir uns heute in dem Glauben, daß das Happening wir sind. Und ignorieren hartnäckig, daß wir nur auf Viva und RTL2 Millionen, in der Masse aber höchstens fünf Nachbarn sehen. Techno, das war mal Musik von Konsumenten für Konsumenten, weil alle glaubten, daß jeder DJ werden kann. Die Stalinallee, das waren Arbeiterpaläste, in die Aktivisten der ersten Stunde ebenso einziehen durften wie Parteifunktionäre. Dann enthüllte sich das Glück der Hierarchie, die Arbeitsteilung. 1950 stiegen hoffnungsfrohe Tischlerlehrlinge (Ulbricht) und Dachdeckergesellen (Honecker) zu Staatsmännern auf. Einst Betonfacharbeiter (Dr. Motte) und Bauschlosser (Sven Väth) verdienen deutsche Star-DJs heute zehntausend Mark am Abend. Der Tod des Starkults gilt schon lang nicht mehr. DJs sind Leitfiguren, und haben die stinknormalen Weltherrschaftsphantasien aller Popstars.
Bau auf, bau auf – die Aufbruchstimmung der fünfziger Jahre, sie ist Stein geworden in der Karl-Marx-Allee. Die Euphorie des Techno ist erstarrt zum institutionalisierten Feiertag, zu Karneval und Kirmes. Doch das muß weggeredet werden. Die Veranstalter reden von „One World One Future“; die Sponsoren und Markenartikler, deren Logos fröhlich von den Lkws prangen, leugnen gar, dabeizusein. Schlagwörter und fraktale Markenführung verdecken das Ziel, ein Produkt massenhaft zu verkaufen. Man redet von Rückbesinnung auf den Markenkern, Emergenz, Differenz, Kontingenz. Großevents seien out, subtiles Sponsoring und Authentizität in. Der Alltag wird hier ebenso theatralisiert und mit Codes der Bedeutsamkeit aufgeladen wie zu Ulbrichts Zeiten. Alle wissen es, nur dem System wird verheimlicht, daß es tot ist. Alle Drahtzieher rund um die Love Parade reden in Nominalstil, Ellipsen, Anglizismen, suggerieren Gehetztheit, schließen Außenstehende aus.
Mit der Jugend jung geblieben./Walter Ulbricht, DJ Motte, Mr. Reemtsma, die wir lieben. Susanne Messmer
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