: Freundlichere Identitätsentwürfe
THEATER René Pollesch, Volksbühne: „Die Kunst war viel populärer, als ihr noch keine Künstler wart!“
Vorindustrielle Zeiten – davon zu träumen, erwartet man eigentlich nicht von René Pollesch. In seinem Stück „Die Kunst war viel populärer, als ihr noch keine Künstler wart!“ mehren sich aber die Zeichen der Sehnsucht: wie etwa ein illusionistisches Bühnenbild mit verschneitem Wald, angelehnt an eine Dekoration für „Hamlet“ am Meininger Hoftheater 1866. Auch die vielen Opernzitate sind ein Indiz. Vor allem aber steht dafür eine Geschichte, die Marc Hosemann, bestrumpfhost und mit Zylinder, erzählt: wie er sich eigentlich bei einem heruntergekommenen Etablissement als Kegelaufsteller bewerben wollte und innen dann zu seinem Entsetzen erfuhr, dass Opernsänger gesucht werden. Nur, wenn man das außen schon dran schreibt, dann kommt ja keiner.
Und warum? Weil der ungelernte Arbeiter noch seine Rückzugsorte hat, den Feierabend von der Rolle, wo er sich in Ruhe betrinken kann. Das erscheint auch den vier Schauspielerinnen auf der Bühne, wie man bald aus ihrem Hin- und Herschieben analytischer Textbrocken erfährt, dann doch ein freundlicherer Identitätsentwurf als der des Künstlers, für den das Hadern mit der Repräsentation nie ein Ende nimmt.
Ein zweiter Bühnenprospekt saust zwischen Hamlets Waldkulissen gelegentlich auf und nieder, man sieht ein heruntergekommenes Kino. Die Schauspieler müssen aufpassen, von diesem illusionistischen Bild nicht am Kopf getroffen zu werden. Und sie müssen rennen, auch zur Souffleuse, zumal ein Mitspieler, Volker Spengler, wegen Krankheit ausgefallen ist. Manchmal jagen Catrin Striebeck und Marc Hosemann sich über die Bühne und durch den Orchestergraben ohne Orchester wie ein frisch verliebtes Paar und hetzen sich dabei mit Sätzen über die Unmöglichkeit ab, den Körper in der Sprache wiederzufinden, den Ort ihres Selbsts markieren zu können. Das ist ein typischer Pollesch-Humor, mit theoretischen Figuren von der Nicht-Existenz dessen zu reden, was sich gleichzeitig schwitzend vor unseren Augen abplagt. Konzeptpapiere auf zwei Beinen.
Die spulen zum Beispiel einen Diskurs über den Schmerz ab, über Narkose und Chloroform, während sich zuerst nur Catrin Striebeck als Zusammengebrochene am Boden krümmt und schließlich alle übereinander rollen wie in der Kuscheltherapie. Die Texte sind klug, die Sprache ist elaboriert, aber ganz drin stecken die Sprecher nicht, staunen eher den Worten hinterher. Sich als Zuhörer nicht zu verheddern zwischen Wiederholungen und Textschleifen, die das Spezialistentum des Künstler, die (Nicht-)Anschlussfähigkeit seines Wissens verhandeln, wird zunehmend anstrengend. Also hält man sich auch an das Sichtbare und freut sich immer dann, wenn Text und Körper einen Satz lang doch noch zu ungeahnten Kongruenz kommen.
Pollesch baut seine Themen weiter aus, in seinen Inszenierungen aber war schon mal mehr Schwung. Das Niveau der Reflexion ist zwar gleichbleibend hoch, die Ausweitung der Zone der Anwendung, die ihm zuletzt mit filmbezogenen Stücken sehr schön gelang, fällt diesmal aber enttäuschend mager aus.
Im Programmheft wird dem Theaterbesucher ein Text empfohlen, den Diedrich Diederichsen über die Inszenierungen von René Pollesch im Prater schrieb. Liest man ihn nach, glaubt man nicht nur Begriffe und Sätze aus der Aufführung wiederzuerkennen, die etwa davon handeln, dass die Trennung zwischen „der Vorderbühne der öffentlichen Darstellung“ und der „Hinterbühne der Intimität“ im Verständnis unseres alltäglichen Sein ab dem Moment nicht mehr greift, wo die Identifikation mit dem Job vor dem Privatleben nicht Halt macht. Vielmehr scheint Diederichsens Analyse fast wie eine Gebrauchsanleitung, nach der der analysierte Regisseur sein nächstes Stück gebaut hat.
Hm. Da erschien die Abarbeitung an Fremdmaterial, wie dem deutschen Film und seiner Nazi-Geschichtsverliebtheit, dann doch gewinnbringender.
KATRIN BETTINA MÜLLER
■ Wieder am 22. + 30. Juni, 7. Juli