: „Freund und Helfer klappt nicht“
EHRHART KÖRTING, 65, ist 2007 Vorsitzender der Innenministerkonferenz und seit 2001 Senator für Inneres in der rot-roten Landesregierung von Berlin. Zuvor war er u. a. Rechtsanwalt und Justizsenator. Er hat fünf Töchter.
INTERVIEW PLUTONIA PLARRE
taz: Herr Körting, als Vorsitzender der Innenministerkonferenz waren Sie gerade in Afghanistan. Können die Bundesländer ihre Polizisten noch ruhigen Gewissens dorthin schicken?
Ehrhart Körting: Im Moment kann ich das mit Ja beantworten. Niemand ist dort hundertprozentig vor Anschlägen gefeit. Aber man kann eine Menge für die eigene Sicherheit tun.
Dass drei deutsche Polizisten im August bei einem Anschlag in der Nähe von Kabul ums Leben gekommen sind, lässt Sie nicht zweifeln?
Ich habe die drei toten Kollegen seinerzeit zusammen mit dem Staatssekretär der Bundesinnenministeriums nach Berlin überführt. Das war sehr bedrückend. Ich habe die Situation jetzt ausgiebig mit den Kollegen vor Ort diskutiert: Mit Leuten von der Bundeswehr, vom europäischen Polizeiprojekt Eupol, dem deutschen Polizeiprojekt, der GTZ, afghanischen Polizeiangehörigen. Nach allem, was ich gehört und gesehen habe sage ich: Wir können es verantworten.
Sie waren im Norden des Landes, in Kundus und Masar-i-Sharif. Sind Sie mal allein durch die Straßen gelaufen?
Die Sicherheitslage ist nicht so, dass man das als Ausländer allein tun sollte. Auch als Delegation empfiehlt es sich nicht. Es gibt eine Erklärung von terroristischen Gruppen, sich besonders solche Ziele auszusuchen.
Wie viele Polizisten aus der Bundesrepublik sind im Moment vor Ort?
40 Beamte aus Bund und Ländern. Schwerpunkt unserer Arbeit ist, afghanische Polizeiausbilder auszubilden. Das Ganze basiert darauf, dass Deutschland Ende 2001 bei der Petersberg-Konferenz die Führungsrolle für den Aufbau der Polizei übernommen hat.
Die Gewalt in Afghanistan eskaliert. Wie haben Sie die Stimmung erlebt?
Die Leute sind wesentlich angespannter als im Frühjahr. Die Nervosität hat mit den Anschlägen deutlich zugenommen. Die Terroristen befinden sich nicht nur im Grenzgebiet zu Pakistan. Sie tauchen auch in Kundus und Kabul auf. Selbst im Süden und Südosten gibt es wieder Kämpfe. Das hat natürlich auch Folgen für die Polizeiausbildung. Wir müssen das Konzept verändern.
Was heißt das konkret?
Wir müssen darauf reagieren, dass die afghanische Polizei allein in diesem Jahr schon 700 Leute verloren hat – ermordet oder bei Kämpfen getötet. Anders als in Europa müssen afghanische Polizisten in die Lage versetzt werden, sich gegen Talibangruppen, Rauschgifthändler und sonstige kriminelle Banden behaupten zu können.
Wie sah die Ausbildung bislang aus?
Wir haben versucht, an das zivile Polizeibild der Bundesrepublik anknüpfen: die Polizei, dein Freund und Helfer. Das Konzept ist 2002 entwickelt worden. Damals hatte es den Anschein, dass sich Afghanistan mit der Vertreibung der Taliban aus eigener Kraft zu einer Zivilgesellschaft entwickeln würde. Das hat sich leider ziemlich verändert.
Ist das ein Plädoyer für eine paramilitärische Ausbildung – nach dem Vorbild der Amerikaner, die in Afghanistan auch Polizisten ausbilden?
Die Wahrheit liegt vermutlich zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Konzept.
Wie viele aktive afghanische Polizisten gibt es zurzeit?
Etwa 60.000. Es müssen dringend mehr werden. Wir Deutschen haben bisher circa 15.000 Leute ausgebildet, die Amerikaner nennen Zahlen von bis zu 140.000 Leute. Das Problem ist, dass viele Leute nach der Ausbildung nicht lange bei der Polizei bleiben.
Gibt es dafür eine Erklärung?
Das ist die spannende Frage. Das Problem ist die geringe Entlohnung. Bis vor kurzem hat ein afghanischer Polizist umgerechnet 70 Dollar im Monat verdient. Damit lässt sich kaum eine große Familie ernähren. Selbst wenn man in einfachsten Verhältnissen wohnt, um nicht zu sagen in Verschlägen, wie es die Polizisten zum Teil tun.
Als Söldner bei den Taliban oder Warlords verdient man mehr?
So ist es. Inzwischen ist der Verdienst der Polizisten auf 100 Dollar erhöht worden – immer noch weniger, als die Taliban zahlen. Auch bei den privaten Sicherheitsdiensten und Transportunternehmen kann man bis zu 300 Dollar verdienen.
Wird die Polizei von der Bevölkerung mehr akzeptiert als die ausländischen Soldaten mit OEF- oder Isaf- Mandat?
Jüngst gab es eine Umfrage, bei der die große Mehrheit der Afghanen ihre eigene Polizei als Ordnungsmacht positiv bewertet hat. Aber auch das ist mit Vorsicht zu genießen. Afghanistan ist ein großes, sehr armes Land mit verschiedenen Ethnien. Die staatlichen Strukturen werden von vielfältigen Stammeskulturen überlagert. Wenn man in einem Konvoi der Bundeswehr durch die Straßen fährt, begegnet man Leuten, die mit verschlossenem Gesicht an einem vorbeisehen. Und man begegnet Leuten, die einem zuwinken, weil sie froh sind, dass durch uns der nächste Bürgerkrieg verhindert wird. In diesem Zwiespalt ist hier alles zu sehen. Auch die Polizei.
Neben dem deutschen Polizeiprojekt ist die Bundesrepublik in Afghanistan in dem europäischen Polizeiprojekt Eupol vertreten. Was ist die Funktion von Eupol?
Die Bundesregierung wollte das deutsche Polizeiprojekt auf eine breitere Basis stellen. Eupol ist im Mai 2007 gegründet worden und wird künftig für die Polizeiausbildung zuständig sein. Derzeit wird Eupol von einem Polizeibeamten aus Rheinland-Pfalz geleitet.
Was wird aus dem deutschen Polizeiprojekt?
Das German-Police-Projekt-Team (gppt) hat die Aufgabe, sichtbare Dinge zu fördern. Kleinprojekte für die afghanische Polizei, zum Beispiel den Bau von lokalen Polizeistationen. Bei dem jetzigen Besuch in der Provinz Takhar habe ich eins der Projekte besichtigt: Die Polizeistation befindet sich auf einem Berg und besteht aus drei Zelten. Einem Bürozelt, einem Unterkunftszelt und einem Küchenzelt. Mit Unterstützung der GTZ bauen wir dort jetzt ein Haus, in dem es sogar einen eigenen Gebetsraum geben wird. Das ist praktische Hilfe für die Dinge des täglichen Lebens.
Eupol wirkt nicht so effektiv. Von den angekündigten 195 Beamten aus 25 Staaten ist gerade mal die Hälfte in Afghanistan angekommen.
Wie bei allen multinationalen Projekten dauern die Dinge länger, weil sich die Länder abstimmen müssen. Zudem gibt es große logistische Probleme. Für die Leute müssen vernünftige Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Um sich bewegen können, brauchen sie gepanzerte Fahrzeuge. Und sie brauchen gesicherte Unterkünfte. Man kann nicht einfach in eine Pension gehen.
Laut Zeitungsberichten wohnen deutsche Polizisten in Kabul zurzeit im Luxushotel Serena, wo Zimmer um die 250 Dollar pro Nacht kosten. Wie ist das zu rechtfertigen?
„Nach dem Sturz der Taliban mussten wir bei null anfangen. Inzwischen haben wir fast 50 Prozent erreicht. Darauf sind wir stolz,“ sagte Hassan Atmar, der im afghanischen Innenministerium den Polizeiaufbau leitet, kürzlich vor Journalisten in Berlin. Atmar lobt Deutschland, Afghanistans einzige Polizeiakademie in Kabul aufgebaut zu haben. Daneben gebe es landesweit sieben Zentren für die Kurzzeitausbildung. Dort sind Amerikaner federführend. Damit stehen sich zwei Konzepte gegenüber. In der Akademie werden Polizisten ausgebildet, wie sie eine moderne Gesellschaft benötigt. Dagegen dominiert in den Kurzzeitzentren paramilitärisches Training. Den Deutschen wird vorgeworfen, an afghanischen Realitäten vorbei zu gründlich und zu langsam auszubilden. Deshalb übernahm im Juni die EU von den Deutschen die Polizeimission und versprach, viel mehr Ausbilder zu entsenden. Der US-Ansatz wird dagegen kritisiert, zu sehr auf Fitness, Disziplin und Schießen zu setzen und Gesetzeskunde zu vernachlässigen. HAN
Das kann ich nicht kommentieren. Offensichtlich ist das eine Übergangslösung aus Sicherheitsgründen.
Bundeskanzlerin Merkel hat nach ihrem Afghanistanbesuch angekündigt, die deutschen Mittel für die Polizeiausbildung von 12 Millionen Euro pro Jahr auf 20 Millionen zu erhöhen. Die Tornadoeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan kosten 70 Millionen Euro im Jahr. Ist das nicht ein Missverhältnis, wenn man den Aufbau einer Zivilgesellschaft fördern möchte?
Dass der Bund die Afghanistanhilfe verbessert, halte ich für überfällig. Aber es geht nicht nur um Barmittel. Die Polizei braucht vor allem Ausrüstungsgegenstände. Wie soll eine Polizeieinheit auf einem Berg 20 Taliban abwehren, wenn man nicht mal ein Nachtsichtgerät hat?
Das Bundeskriminalamt hat Ermittlungsköfferchen runtergeschickt, mit denen Tatortspuren gesichert werden können.
Das kann man sofort streichen.
Afghanistan hat keine funktionierende Justiz. Ohne Bestechung läuft bei den Ämtern angeblich nichts. Wie kommen deutsche Polizisten damit klar?
Unsere Polizisten haben mit den internen Verhältnissen nichts zu tun. Sorgen macht mir etwas ganz anderes: Nicht alles Geld, dass von der Welt als Hilfe nach Afghanistan fließt, kommt bei den richtigen Leuten an. Das ist ein zentrales Problem. Bei der Polizei versucht man das jetzt halbwegs in den Griff zu bekommen.
Was soll geschehen?
Die Regierung hat versprochen, den Polizisten ihren Lohn wenn möglich auf ein eigenes Bankkonto zu überweisen. Aber das wird sicherlich nicht überall in Afghanistan funktionieren.
Auf der Innenministerkonferenz am 5. Dezember steht Afghanistan auf der Tagesordnung. Wie lautet Ihr Fazit?
Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Länder ihr Engagement in Afghanistan noch einmal verstärken. Wir haben eine Verpflichtung, den Menschen zu helfen. Auch wenn manches vergeblich erscheint – es gibt keinen anderen Weg.