vorlauf : Fressen auf Rädern
„Lust auf Lack und Chrom“
(21.45 Uhr, N3)
Genüsslich schlürft der altgediente Motorjournalist Eddi Hermann von der Agentur Bonner Blickpunkt an seinem Glas Dom Perignon: „Bei uns im Rheinland sagt man, Champagner trinken ist, als wenn einem ein Engelchen über die Zunge pinkelt.“ Und ohne mit der Wimper zu zucken, bewahrt der Oberkellner der Genfer Nobelherberge „Wilson“ Contenance und bestätigt dem Gast, dass man es auch so sehen könne. Er ist einiges gewohnt von der Meute ausgehaltener Fachjournalisten, die alljährlich Anfang März zum Genfer Automobilsalon die Schweizer Metropole heimsuchen.
In diesem Jahr haben sich Michael Höft und Karl-Otto Maue eine Woche lang in der schillernden Scheinwelt dieser traditionellen Automobilmesse umgesehen – Karossen und Konzerne, Präsentation und Presse, von Schein und Sein launig abgefilmt. Denn in dieser Welt des internationalen Auto-Ambientes ist die Bedienung eines vordergründigen, aber extravaganten Voyeurismus einfach alles: In zwei kargen Hallen wird binnen kürzester Zeit mit Gips und Resopal, Pressspan und Pappe eine Glitzerwelt aus Stahl und Chrom aufgebaut.
Denn die ersten beiden Tage dieser fast zweiwöchigen Automobilausstellung sind ausschließlich und exklusiv für die anwesende Journaille vorgesehen. Und die kritischen Journalisten müssen umworben und verpflegt werden. Da wird gefressen und gesoffen bis zum Abwinken und natürlich „nur vom Feinsten“: 10.000 Flaschen Weißwein, 14.000 vom Roten, 3.000 Flaschen Champagner; 30 Tonnen frisches Gemüse, 2,5 Tonnen Rinderfilet und 25.000 Canapés – ein einziges „Fressen auf Rädern“.
Danach kommt der normale Messealltag. Das schlichte Volk ist dran: Drängeln, Schubsen und Prospekte. Und es ist nur noch so, als wenn einem ein Teufel auf den Kopf geschissen hätte. WULF BELEITES
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