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„Freispruch Honeckers akzeptieren“

■ Bundesjustizminister Kinkel plädiert jetzt schon für Verständnis für ein rechtsstaatliches Honecker-Verfahren

Hamburg/Moskau (dpa) — In einem rechtsstaatlichen Verfahren gegen den früheren DDR-Staats- und -Parteichef Erich Honecker müßte nach Auffassung von Bundesjustizminister Klaus Kinkel auch ein Freispruch hingenommen werden. Es komme jetzt darauf an, dem Rechtsstaat zum Durchbruch zu verhelfen, in dem gleiches Recht für alle gelte, sagte der FDP-Politiker am Samstag in Zeitungsinterviews. Der Haftbefehl müsse vollstreckt werden. Aber „wenn Honecker nicht verhandlungsfähig wäre oder freigesprochen würde, müßten wir das auch akzeptieren“, betonte Kinkel.

CDU-Generalsekretär Volker Rühe forderte indes eine rasche Anklageerhebung gegen Honecker in Deutschland. „Diejenigen, die jetzt meinen, sie müßten um Tage feilschen, die Druck auf Chile ausüben wollen, die sollten ihre Kraft hier in Deutschland darauf verwenden, daß die Anklageschrift vorgelegt wird.“

Der chilenische Sonderbotschafter im Fall Honecker, James Holger, ist nach einer Meldung der Nachrichtenagentur 'Interfax‘ gestern in Moskau eingetroffen. Holger werde heute mit dem stellvertretenden russischen Außenminister Boris Kolokolow zu einem Gespräch über das weitere Schicksal Honeckers zusammenkommen, der sich seit dem 11.Dezember vergangenen Jahres in der chilenischen Botschaft in Moskau aufhält.

Wie aus diplomatischen Kreisen in Bonn am Samstag verlautete, soll Holger den Ex-DDR-Staatschef davon überzeugen, die Botschaft in Moskau freiwillig zu verlassen. Der Sonderbotschafter machte am Samstag auf dem Flug von New York, wo er sein Land bei der UNO vertritt, nach Moskau in Frankfurt Zwischenstation, um sich über den neuesten Stand der Diskussion über Honecker in Deutschland vom chilenischen Botschafter in Bonn, Carlos Huneeus, informieren zu lassen.

Justizminister Kinkel betonte am Samstag, die Zukunft des 79jährigen liege in Händen der chilenischen Regierung. Von einer Vermittlung etwa durch den früheren UNO-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar oder von einer Einschaltung des Internationalen Gerichtshofes verspricht sich Kinkel nichts: „In diesem Fall brauchen wir den Internationalen Gerichtshof nicht, auch hochrangige Diplomaten können hier nicht weiterhelfen. Die chilenische Regierung muß eine Entscheidung treffen. Ich hoffe, daß sie das auch bald tut“, sagte der Minister.

In Santiago unterstrich der deutsche Botschafter in Chile, Wiegand Pabsch, erneut, die Bundesregierung betrachte den Aufenthalt Honeckers in der chilenischen Botschaft als eine Verletzung des internationalen Rechts. Bonn erwarte, daß Chile den 79jährigen an Deutschland ausliefere. Die Kategorie „Gast“ für Honecker „gibt es nicht“, erklärte Pabsch.

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