■ Das Portrait: Freimut Wössner
Abseits der Potsdamer Straße, in kieznaher, doch relativ verkehrsberuhigter Umgebung, residiert Freimut Wössner, Karikaturist unter anderem für die taz, zudem Sprechblasenfotoerfinder, bedarfsweise auch Sketchautor. Selbst nach etlichen Jahren Berlinaufenthalt verrät Wössners Sprachfluß unverkennbar die schwäbische Abkunft. Was in der ehemals ummauerten Stadt nicht weiter auffällt, verfügt doch – die Spätzle pfeifen's von den Dächern – Berlin über die bei weitem größte Schwabenpopulation diesseits der baden- württembergischen Landesgrenzen. Zwielichtige Maultaschenspieler lungern an jeder Ecke; sogar das Urberliner Europa-Center bekam als Stigma der Okkupation einen Mercedesstern aufgepflanzt.
Selbstportrait '93
In Berlin endeten Wössners Lehr- und Wanderjahre, die auf die Geburt im Jahre '45 gefolgt waren. Der Muff der großgeblümten 50er, die soziale Kontrolle einer argusäugigen Nachbarschaft, die strenge Zucht eines autoritären Vaters hatten unmittelbare Auswirkungen auf sein ×uvre. „Es gibt“, so der Zeichner, „zwei Möglichkeiten, sich selber aufzuplustern: autoritär zu werden – das kann man natürlich als Kind überhaupt nicht gegen diese Institutionen – oder Witze zu machen. Der Witz ist die Kraft des Schwächeren, die Davidsschleuder.“ Der gekritzelte Witz wurde zum Ventil; der kommerziellen Verwertung galt noch kein Gedanke. Näher lag das Studium der Psychologie, welches unvollendet blieb. „Ich hatte davon geträumt, daß ich den letzten Welträtseln auf die Spur komme, und war mir wahrscheinlich nur selber ein Rätsel bei der ganzen Sache“. Nicht das wankelnden Mutes absolvierte Universitätsstudium, sondern das der Menschen am Arbeitsplatz lieferte die Grundlage fürs Werk des später Berufenen: „Ich war zwar noch nie Leichenwäscher und auch noch nie Holzflößer in Finnland oder so was, aber sonst habe ich halt sehr viele Sachen gemacht, und das ist mein eigentliches Kapital.“
Der geschärfte Blick für die ganz alltägliche Komik ist die beste Voraussetzung für seinen heutigen Beruf, die unmittelbare Umgebung ein schier unerschöpfliches Reservoir für Karikatur und Kalauer. „Die wahren Dramen“, so hat Wössner herausgefunden, „die spielen sich in der eigenen Wohnung ab, auch in der Nachbarwohnung und gleich um die Ecke.“ Harald Keller
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