: Freies Spiel anarchischer Assoziationen
■ Aus der Experimentierstube der 20er Jahre: Das Metropolis erinnert an den Kongress der internationalen Filmavantgarde im schweizerischen La Sarraz
Es gibt keine Geschichte. Es gibt nur Momente, Dinge, Rhythmus. Der Film der 20er Jahre will nicht erzählen, sich nicht mehr, wie die Impressionisten unter den Regisseuren, auf die Komposition des Einzelbildes kaprizieren.
Mit Lumières Zug von 1895, den die Avantgarde dieser Tage wieder für sich entdeckte, sollte der Film 30 Jahre später noch einmal aufs Neue zu seiner eigentlichen Bestimmung einfahren, sein Publikum mit dem Schock puren Bewegungskinos überrollen und endlich zu der Kunst des 20. Jahrhunderts heißlaufen.
Hierfür glühten sie alle bis in die Haarspitzen: Hans Richter, Walter Ruttmann, Sergei Eisenstein, Dsiga Vertov, Louis Buñuel, Joris Ivens, René Clair u.v.a. Egal ob man sich dadaistisch gegen die etablierte Ordnung der Dinge und die Logik einer mechanistischen Welt stemmte oder, wie das cinéma pur, jeden Inhalt zum Teufel schickte, um Platz zu schaffen für die Schönheit noch unvertrauter Bildsymphonien. Die 20er vergingen, der Tonfilm begann sich bereits durchzusetzen, doch noch immer hatten die Kunstfilmer Europas und der Sowjetunion nicht zu einer Stimme, nicht einmal zu einem gemeinsamen Ort gefunden. Höchste Zeit also für einen „Internationalen Kongress des unabhängigen Films“ zu dem Madame de Mandrot im September 1929 in ihr Schloss im schweizerischen La Sarraz geladen hatte.
Zwischen Ahnengalerie und Rittersaal zankte sich Hans Richter mit Béla Balázs über Schmuck und Schlichtheit experimenteller Filme, Eisenstein stritt mit dem Marinetti-Fan Enrico Prampolini, und diverse Teilnehmer fragten sich laut, was G.W. Papst und seine Filme auf dem Treffen verloren hätten. Neben Debatten, Ausritten und Salongebrüll wurde unter Eisensteins Leitung auch eine Art Trailer verfasst, der die weinselig-heiter versammelten Filmkünstler, auf Filmprojektoren gegen die gemeine Filmindustrie reiten ließ.
Eisensteins Klamauk ist inzwischen verschollen. Die Filme, die Balázs für den Kongress zusammengestellt hatte, liefern jedoch bis heute einen repräsentativen Querschnitt durch die Experimentierstuben des europäischen Kinos. Das Metropolis zeigt sie heute noch einmal in vier Blöcken. Darunter Hans Richters Rebellion der Dinge im Vormittagsspuk oder Werke von Man Ray wie Le Rétour de la Raison oder L'Étoile de Mer, die Verfilmung des Gedichtes von Desnos, in der alle Dinge in dadaistischer Vieldeutigkeit verschwimmen. Außerdem filmhistorische Klassiker wie Buñuels und Dalis Un Chien Andalou oder Fernand Légers Balett Mécanique. Dass das Metropolis René Clairs Entracte hinzugefügt hat, ist eine gute Idee, fügte er doch alles zusammen, was die Avantgarde der 20er auszeichnen sollte: Experiment, anarchischen Witz, Assoziationen des Unvereinbaren und das schiere Vergnügen an der Liquidierung aller Inhalte.
In Entracte tragen Tänzerinnen Bartgesichter, Kamele mit Wurstkränzen führen Leichenzüge, bei denen die Magie des Kinos auf ihre Bestattung wartet. Doch Clair lässt ihren Sargdeckel aufspringen, und ein Zauberer zaubert alle nacheinander weg. Mit der Fernbedienung der Vorstellungskraft. Und wenn er schließlich auch sich selbst wegknipst, ist das einer dieser schönen Hokuspokus-Momente, in denen das Kino sich selbst wegzaubern oder herbeischaffen kann. Birgit Glombitza
Vier Kurzfilm-Blöcke (Einführungen: Thomas Thode): 12.9., 21.15 Uhr; 16.9., 21.15 Uhr; 21.9. 21.15 Uhr; 23.9. 21.15 Uhr
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