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Freie Wahlen in Polen

Für eine neue zweite Parlamentskammer soll es freie Wahlen geben / Kandidaten müssen für sich 3.000 Unterschriften sammeln / Opposition ist zuversichtlich  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Premiere in Osteuropa: In Polen wird es im Juni freie Wahlen geben - allerdings nur für eine neu zu bildende zweite Parlamentskammer, die vermutlich Senat heißen wird.

Für den Sejm, die erste und bislang einzige Kammer, steht hingegen jetzt schon fest: 65 Prozent der Mandate fallen an die Regierungskoalition, 35 Prozent werden der Opposition zugewiesen. Zudem soll das Amt eines mit weitreichenden Vollmachten ausgestatteten Präsidenten neu eingeführt werden. Darauf einigten sich am Donnerstag in Warschau Regierung und Opposition bei ihren Verhandlungen am runden Tisch.

Der neu zu bildende Senat soll aus 98 Mitgliedern bestehen

-je zwei aus jeder Wojowodschaft (Bezirk). Das Recht zur Kandidatenaufstellung haben nicht nur die Parteien der von der kommunistischen PVAP angeführten Regierungskoalition, sondern auch Vereinigungen, Klubs, katholische Zirkel und Bürgerkomitees, die für einen Kandidaten 3.000 Unterschriften sammeln müssen. In jedem Wahlbezirk gelten dann die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen als gewählt.

Für den Sejm, der am 4. und 18. Juni gewählt werden soll, wird es freie Wahlen nur im Bereich jener 35 Prozent der Mandate geben, die nicht für die PVAP und ihre Bündnispartner vorgesehen sind. Wer im ersten Wahlgang auf Anhieb mehr als die Hälfte der Stimmen seines Wahlkreises auf sich vereinigt, zieht ins Parlament ein. In den Wahlkreisen, in denen kein Kandidat die absolute Mehrheit gewinnt, wird in einem zweiten Urnengang zwischen den beiden Bestplazierten entschieden.

Noch unklar sind die Befugnisse des frei gewählten Senats. Janusz Rejkowski, Mitglied des Politbüros der PVAP, sprach davon, daß die zweite Kammer für wirtschaftliche, soziale und Bürgerrechtsfragen zuständig sein sollte. Für Branislaw Geremek, Verhandlungsleiter der Opposition in der Arbeitsgruppe für politische Fragen, ist klar, daß der Senat das Recht haben muß, Entscheidungen des Sejm zurückzuweisen. Nach 30 Tagen, so Geremek, müsse der Sejm dann das zurückgewiesene Gesetz neu verabschieden. Wenn der Senat ein Gesetz mit Zweidrittelmehrheit zurückweise, so könne es nur in Kraft treten, wenn der Sejm es danach mit Zweidrittelmehrheit billige. Geht man davon aus, daß die Opposition im Sejm über das ihr zugewiesene Drittel der Mandate und im Senat - nach Wahlen - über zwei Drittel verfügt, hätte sie ein Vetorecht in denjenigen Bereichen der Gesetzgebung, auf die sich die Zuständigkeit des Senats erstrecken soll.

Sejm und Senat zusammen bilden die Nationalversammlung, die nach Vorstellung der Regierung einen Staatspräsidenten wählen soll. Dieser soll das Recht haben, beide Parlamentskammern aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Aufgrund des politischen Gewichts, das dem Präsidenten zukommt - die Rede ist häufig von einem nationalen Schiedsrichter -, fordert die Opposition, daß er vom Volk direkt gewählt wird. Nach Geremeks Vorstellung soll das Recht auf Parlamentsauflösung genau definiert und eingeschränkt werden: „Ich stelle mir vor, daß der Präsident nur einmal aus dem gleichen Grund Sejm und Senat auflösen kann.“ Fortsetzung auf Seite 2

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Nach der spektakulären Einigung im politischen Bereich kommen nun vor allem wieder wirtschaftliche Fragen auf den runden Tisch. Die Opposition besteht auf einer Lohnindexierung zur sozialen Abfederung der Inflation. Überdies soll über eine Rechtsreform, kommunale Selbstverwaltung, Zugang zu Massenmedien und über ein Vereinsrecht verhandelt werden, das die Legalisierung bisher noch verbotener gesellschaftlicher und politischer Gruppierungen einschließt.

Doch in der Opposition macht sich Optimismus breit. Daß eine generelle Einigung an solchen Einzelfragen scheitert, will niemand glauben.

Jacek Kuron, einer der prominentesten Oppositionspolitiker, hat schon „das Gefühl, als befände ich mich in der Februarrevolution.

Aber das heißt auch, daß uns vielleicht der bolschewistische Umsturz noch bevorsteht“. Arbeiterführer Walesa warnte am Donnerstag, es gebe Personen, die gegen den Pluralismus seien und die Macht hätten, das Kriegsrecht herbeizuführen.

Die polnischen Bischöfe der einflußreichen katholischen Kirche haben am Freitag die bisherigen Ergebnisse der Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition „am runden Tisch“ begrüßt. In einem Kommunique appellierten sie an die Bevölkerung, die jetzt erlangten Bürgerrechte behutsam zu nutzen. Die Behörden sollten mit Mut und Konsequenz die Änderungen

verwirklichen. Jetzt könnten sich neue Chancen für das Land öffnen.

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