Free Fight-Wettkampf in Berlin: Germans erster Kampf
Es gilt als die härteste Kampfsportart der Welt. „Mixed Martial Arts“ verlangt den Kämpfern alles ab. Warum sich ein junger Mann das antun will? Nun: weil er es mag.
25. April, 18.30, IMAG Berlin: German Kapustin hat ein Ziel. Der Weg dorthin führt über das Gym in den ehemaligen Osramhöfen in Berlin-Wedding. German ist 25 Jahre alt, geboren in Moskau, seit seinem dritten Lebensjahr in Deutschland. In zweieinhalb Wochen wird German kämpfen, das erste Mal. Während die anderen im Gym Übungen machen, muss er sparren. Alle drei Minuten bekommt er einen frischen Partner. German kommt aus dem Standkampf, Boxen und Kickboxen sind seine Stärken. Aber wenn er am 12. Mai in den Drahtkäfig steigt, der in der Universal Hall in Berlin-Moabit aufgebaut wird, wird er nach MMA-Regeln kämpfen.
MMA steht für Mixed Martial Arts, wörtlich: gemischte Kampfkünste, in Deutschland besser bekannt als „Free Fight“. Der Kampf kann schnell vom Stand an den Boden wechseln. Deshalb trainiert German schon seit geraumer Zeit Ringen, Grappling, Brazilian Jiu-Jitsu. Dennoch: Im Stand fühlt er sich sicherer, deshalb ist sein Ziel im Training, die Versuche seiner Gegner, ihn an den Boden zu bringen, abzuwehren. Immer gelingt ihm das nicht. Nach eineinhalb Stunden Training ist German am Ende. Darum geht es: den Moment hinauszögern, an dem ein Kämpfer das Gefühl hat, er kann nicht mehr. 17 Tage bis zum Kampf.
30. April, IMAG Berlin: Montags trainiert German Grappling und Brazilian Jiu Jitsu, dienstags Kondition, Mittwochs Ringen, donnerstags Bodenkampf im MMA, freitags Kickboxen und Cardio. Jeden Morgen, vor der Arbeit, geht er laufen. Noch vor ein paar Jahren wog German 120 Kilo, Sport kannte er nur aus dem Fernsehen. Warum ausgerechnet Kampfsport? „Es ist die ursprünglichste Form, sich zu messen. Alles, was du brauchst, hast du schon: Arme und Beine. Du brauchst kein Tor, keinen Ball, kein Netz, nichts. Ich mag das.“ 12 Tage bis zum Kampf.
Mixed Martial Arts, zu deutsch: gemischte Kampfkünste, ist eine Kombination aus allen Kampfsportarten. Elemente kommen aus dem Boxen sowie Kick- und Thaiboxen, Taek Wan-Do, Ringen, Brazilian Jiu-Jitsu, Ringen, Judo und anderen Kampfsportarten. MMA-Wettkämpfe folgen einem Regelwerk, das abgestuft nach dem Leistungsstand der Kämpfer und unterteilt in Profi- und Amateurbereich unterschiedlich viele Techniken zulässt.
Grundsätzlich gilt aber: Der Kampf wird sowohl im Stand als auch am Boden geführt, und auch am Boden sind Schlag- und mit Einschränkungen Tritttechniken erlaubt. In der Regel geht ein Kampf, der im Ring oder im meist achteckigen Käfig (Cage) geführt wird, über 3 x 5 Minuten, Titelkämpfe über 5 x 5 Minuten. Der Kampf endet vorzeitig, wenn ein Kämpfer sich nicht mehr intelligent verteidigen kann, KO geht oder durch Abklopfen („tappen“) seine Aufgabe signalisiert, etwa, wenn er sich aus einem Hebel- oder Würgegriff nicht befreien kann.
Der Sport hat in den letzten Jahren auf der ganzen Welt immer mehr Anhänger gefunden. Führende Wettkampf-Organisation ist die US-amerikanische „Ultimate Fighting Championship“ (UFC). In Deutschland gibt es eine Vielzahl zumeist kleinerer Kampfveranstaltungen, die sich allerdings häufig Auflagen ausgesetzt sehen, etwa, dass die Zuschauer mindestens 18 Jahre alt sein müssen. Immer wieder auch fordern Politiker und Medien ein Verbot von MMA, weil sie diesen Vollkontaktsport für zu brutal halten. Doch die Verletzungsrate, neben gelegentlichen Cuts, wie sie auch beim Boxen vorkommen, ist gering, und die Kämpfer pflegen untereinander in der Regel einen freundschaftlichen und fairen Umgang.
3. Mai, IMAG Berlin: Von seinem Gegner weiß German das: Oliver Döhring kommt auch aus Berlin, er hat schon einen Kampf bestritten und gewonnen. Es gibt ein Video von ihm im Netz. Aber, sagt Germans Trainer Frank Burczynski, einen richtigen „Gameplan“ macht man bei Debütkämpfen sowieso nicht. German, sagt er, habe ihn beim ersten kleinen Wettkampf, an dem er vor ein paar Monaten teilnahm, überrascht: „Die meisten Amateure bringen im Kampf vielleicht 50 bis 60 Prozent ihrer Trainingsleistung, Profis 90 bis 95 Prozent. German lag bei gut 70 Prozent.“ Eine Idee vom Kampf? „Er muss keine Angst vor dem Bodenkampf haben – aber er soll, wenn es irgendwie geht, immer versuchen, schnell wieder aufzustehen.“ Angst? „Nö“, sagt Burczynski, „sonst würde ich ihn noch nicht kämpfen lassen.“ Neun Tage.
9. Mai, IMAG Berlin: Der Gegner hat gewechselt. Döhring hat doch schon ein paar Kämpfe mehr – und alle gewonnen. Er wäre für Germans ersten Kampf zu stark gewesen. Jetzt wird German Marcel Quitsch aus Dresden gegenüberstehen. Von dem gibt es nicht mal ein Video. In dieser Woche hat sich German Urlaub genommen von seinem Job als Speditionskaufmann. Drei Tage.
12. Mai, Kampftag, 14.20 Uhr, Universal Hall: In der Mitte steht der Käfig, ein Oktagon, die Streben gepolstert, die Seiten mit Maschendraht abgegrenzt, ganz in Schwarz. Seit einer Dreiviertelstunde treffen die Kämpfer ein. Der Ringsprecher hat seine Badezimmerwaage mitgebracht, sehr genau ist die nicht, aber es ist ja für alle dasselbe. German hat 91,5 Kilo, 93 hätte er wiegen dürfen. Er gibt die CD mit seiner Einlaufmusik beim DJ ab. Jesse-Björn Buckler ist da, der erfahrenste Kämpfer aus dem IMAG. Er steht heute Abend selbst nicht im Ring, gibt German Tipps im Cage.
15 Uhr, Universal Hall: Die Dresdener sind da. Germans Gegner: drahtige, kräftige Figur, Kurzhaarschnitt. Beim Wiegen bringt er rund 7 Kilo weniger auf die Waage als German. Gut oder schlecht? Er könnte sehr schnell sein, glaubt German.
15.20 Uhr, Universal Hall: Frank Burzcynski, der nicht nur Germans Trainer ist, sondern auch der sportliche Leiter der Veranstaltung, ruft alle Kämpfer zur Besprechung. Die Regeln werden durchgegangen: Ellenbogen- und Kniestöße zum Kopf sind im Stand erlaubt – es sei denn, beide Kämpfer einigen sich vorher, dass sie das nicht wollen. Ansonsten gilt die „Dreipunktregel“: Wenn irgendein anderer Körperteil als die beiden Fußsohlen den Boden berühren, sind Ellenbogen- oder Kniestöße zum Kopf verboten. Alle Kämpfe werden über 2 x 5 Minuten gehen. Noch streikt der Drucker, deshalb kann die Reihenfolge der Kämpfe noch nicht verteilt werden. Handschuhe in den Größen M und L werden verteilt, sie kommen vom Sponsor und dürfen behalten werden.
15.45 Uhr, Universal Hall: German erfährt, dass er den vorletzten Kampf des Abends bestreiten wird, um 22.45 Uhr. Sieben Stunden.
16.45 Uhr, vor der Halle: German und die anderen Kämpfer vom IMAG gehen spazieren. Auch Marcel Quitsch genießt die Nachmittagssonne. Für den 26-jährigen KFZ-Mechaniker aus Dresden ist es der zweite MMA-Kampf, ein paar Kickboxkämpfe hat er schon hinter sich. Sein Händedruck ist fest, aber er hat weiche Hände. Wie German.
17.45 Uhr, Eingang der Universal Hall: Die Kasse öffnet. Die Veranstaltung, die dritte aus der Reihe „We Love MMA“ des Veranstalters Marcus Wortmeier, ist seit zehn Tagen ausverkauft. 70 Prozent der Zuschauer sind Männer. Fünf Stunden.
18.30 Uhr, vor der Halle: Germans Vater ist da. Der stämmige Mann steckt sich vor der Tür eine Zigarette an. „Ich rauche sonst nie“, sagt er.
20.45 Uhr, Universal Hall: Seit die Veranstaltung vor gut eineinhalb Stunden begonnen hat, sind sieben Kämpfe gelaufen. Davon gingen zwei über die volle Kampfzeit, zwei wurden vom Ringrichter nach Schlagserien am Boden gestoppt, drei Kämpfer gaben auf, weil sie in Würge- oder Hebelgriffe geraten waren. German steht im Publikum, versucht sich zu lockern. Er sieht ein bisschen blass aus. Zwei Stunden
22.30 Uhr, Keller: Der Backstage-Bereich ist viel zu klein. Überall liegt Müll. Nur im Flur ist Platz, um sich aufzuwärmen. Zwei Trainingspartner helfen German, arbeiten mit ihm an den Pratzen, üben noch einmal den Clinch. Die Tritte und Schläge auf die Pratzen kommen unglaublich hart. Sieht gut aus. Aus der Halle Geschrei und Applaus. 15 Minuten.
22.45 Uhr, Saal: Zuerst wird Germans Gegner in den Käfig gerufen. Dann ertönt Germans Einlaufmusik – ein wilder Pogo. „Sind das Schwangerschaftsstreifen?“, fragt einer im Publikum seinen Nachbarn. Und es stimmt: An Germans Haut sieht man, dass es noch nicht so lange her ist, dass er viele Kilos mehr wog.
22.50 Uhr, im Käfig: Der Kampf beginnt. German wollte vorsichtig anfangen, den anderen kommen lassen, kontern. Er vertraut darauf, ein gutes Auge zu haben, den Schlägen ausweichen zu können. Das klappt auch ganz gut, nur gelegentlich kommt Marcel mit Schlag-Tritt-Kombinationen durch, ohne aber Wirkung zu hinterlassen. Aber von German müsste mehr kommen. Der Kampf bleibt im Stand, keiner von beiden unternimmt auch nur den Versuch, den anderen zu Boden zu bringen. Kurz vor Ende der ersten Runde kracht eine harte Rechte an Germans Kinn, ihm knicken die Beine weg. Marcel setzt sofort nach, das Rundenende rettet German vor dem drohenden K.o. Zu Beginn der zweiten Runde ist German leidlich wieder klar. Marcel eröffnet die Runde aggressiv, pumpt aber schwer, atmet mit weit geöffnetem Mund, ein Zeichen des Konditionsmangels. Aber German ist selbst schon viel zu müde, um auf Ideen zu kommen. Würde er sich jetzt im Bodenkampf sicherer fühlen – er könnte den Kampf mit guten Takedowns noch gewinnen. Doch es bleibt ein Kickboxkampf, und Marcel ist heute Abend der bessere Kickboxer. Beide können nicht mehr, Germans Schläge und Tritte, beim Aufwärmen im Keller noch gewaltige Bomben, sind nur mehr Streichler. Der Kampf ist aus, German verliert einstimmig nach Punkten.
23.20 Uhr, Backstage: German schwitzt immer noch stark, spricht von eingeschränkter Feinmotorik. „Du hast die Schläge gut mit dem Kopf geblockt“, witzelt Jesse-Björn. „Warum bin ich eigentlich umgefallen, ich hab nichts gespürt“, fragt German. Von der zweiten Runde weiß er nicht mehr viel. „Aus Niederlagen muss man lernen“, sagt er sich selbst. Sein Unterkiefer ist irgendwie verrutscht. Hier gibt es nicht einmal eine Dusche.
23.45 Uhr, Universal Hall: Die Halle ist leer, der Käfig wird abgebaut, die Security führt einen Betrunkenen heraus. German trifft seinen Vater vor der Halle, der knufft seinen Sohn, umarmt ihn. „Bis Dezember muss ich viel an meiner Kondition arbeiten“, sagt German. Er will weiterkämpfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“