Frauenrechte in Marokko: Das Haus von Casablanca
Assisa wurde jahrelang von ihrem Mann misshandelt, nun lebt sie im Centre Tilila. Im Großraum von Casablanca ist das Frauenhaus das einzige seiner Art.
CASABLANCA taz | Noch einmal heiraten? Nein, mit Männern will Assisa nichts mehr zu tun haben. "Männer nehmen die Ehe nicht ernst", sagt die 31-jährige Marokkanerin. Ihren Nachnamen will sie lieber nicht nennen. Aus Sicherheitsgründen.
Mit einer festen Stimme, die weder Wut noch Selbstmitleid durchschimmern lässt, erzählt sie über die Jahre, die sie mit ihrem Mann verbracht hat. Von den vielen Schlägen, von der Angst und von den zahlreichen Versuchen, ihn zu verlassen. "Immer wenn am Monatsende das Geld knapp wurde, verlor er die Nerven und hat mich misshandelt."
Nun hat sie es endlich geschafft. Sie ist gegangen. Seit zwei Wochen wohnt Assisa im "Centre Tilila", einer "Herberge für Frauen in Not". Das Frauenhaus liegt etwa eine halbe Autostunde außerhalb der Metropole Casablanca. Nur Eingeweihte finden den Weg, der Standort soll geheim bleiben.
* Seit 1999 wird Marokko von König Mohammed VI. regiert. Der Monarch ist das geistliche und weltliche Oberhaupt des Landes. 2004 reformierte er das Familienrecht und stärkte damit die Rechte der Frauen.
* Nach der nationalkonservativen Parti Istiqlal ist die gemäßigt islamistische PJD die zweitstärkste politische Kraft. 99,8 Prozent der Bevölkerung sind Muslime.
* 55 Prozent aller Kinder werden nicht eingeschult, 50 Prozent aller Marokkaner leben unterhalb der Armutsgrenze. Etwa die Hälfte der Frauen können weder lesen noch schreiben, 13 Prozent der verheirateten Frauen sind unter 18 Jahre alt.
Und so wartet an einer Tankstelle ein junger Mann, der uns durch das steinige Wüstengelände zu dem großzügigen Landhaus führt. Vor vier Jahren hat die Demokratische Liga für Frauenrechte (LDDF) die Herberge gegründet, es ist die einzige ihrer Art im Großraum der Drei-Millionen-Stadt. 20 verheirateten Frauen und etwa noch einmal so vielen Kindern bietet das Centre Tilila einen sicheren Rückzugsort. "Die Nachfrage ist viel größer, wir bräuchten weitere Frauenhäuser", klagt eine Mitarbeiterin. Aus dem Nebenzimmer dringen Kinderstimmen.
Auch Assisas einjährige Tochter spielt mit ihren neuen Freunden und Freundinnen. Dass die Mutter noch ein Kind im Bauch trägt, sieht man ihr nicht an, sehr jung wirkt sie in ihrer engen Jeans, der grauen Fleece-Jacke und dem eng gebundenen Kopftuch. Drei Jahre kannten sich Assisa und ihr Mann, bevor sie heirateten. "Das Leben vor der Hochzeit ist das eine, das Leben danach etwas völlig anderes", sagt sie. Plötzlich habe er ihr verboten zu arbeiten. Und dann kamen die Schläge. Heute steht ihre Entscheidung felsenfest: "Ich werde mich scheiden lassen."
Immer wieder verprügelt
Auch die 35-jährige Leila hat sich so entschlossen, nachdem ihr Mann sie immer wieder verprügelt hatte. Wie Assisa ist sie vor zwei Wochen in das Centre Tilila geflüchtet - mit ihrer dreijährigen Tochter. Und mit den Verbrennungen durch das heiße Wasser, das ihr Mann ihr über den Rücken gelehrt hatte. "Als ich ihm sagte, dass ich die Scheidung einreichen würde, hat er gedroht, mich umzubringen," berichtet sie. Außerdem wollte er ihr keine Papiere für die Aufhebung der Ehe unterzeichnen.
Doch eine Zustimmung des Ehemannes ist schlicht nicht mehr notwendig, seit König Mohammed VI. vor sieben Jahren die "Moudawana", das Familienrecht, reformierte. Es war ein ungewöhnlicher Schritt für ein Land, in dem der Harem zum Alltag gehörte und Frauen Männern gehorchen mussten. Dennoch unterstützten alle großen Parteien den Entwurf.
Selbst die islamistische Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) stellte sich nicht quer. Seither sind beide Geschlechter juristisch gleichgestellt. Männer können nicht mehr ihre Frauen "verstoßen", für Ehegattinnen ist es möglich, selbst die Scheidung einzureichen. Seine Majestät ließ auch das Heiratsmindestalter auf 18 Jahre hinaufsetzen und verfügte, dass Männer keine vier Frauen mehr heiraten dürfen - von Ausnahmen abgesehen. Auf dem Papier hat Marokko damit eines der fortschrittlichsten Familiengesetze der arabischen Welt.
"Die meisten Frauen kennen ihre Rechte nicht", dämpft Tikerouine Khadja jedoch allzu hohe Erwartungen. Als Juristin im "Centre d'Ecoute" hört sie täglich Horrorgeschichten über männliche Gewalt. Für viele Frauen ist die Beratungsstelle der Frauenliga im belebten Viertel Mers Sultan im Herzen von Casablanca der erste Anlaufpunkt.
Auch Assisa und Leila haben dort Unterstützung gesucht, bevor sie ins "Tilila" kamen. Sicherheit wird groß geschrieben. Die Räume liegen in einem alten Wohn- und Geschäftshaus, der Eingang ist geschützt durch ein geschmiedetes schwarzes Eisentor. Nur ein kleines Schild zwischen Schnellrestaurant und Gemüseladen weist auf das "Centre LDDF - Assistance" hin.
"Wegen ihrer wirtschaftlichen Lage und der gesellschaftlichen Stimmung ist es für Frauen weiterhin schwierig, die Scheidung einzureichen", erklärt Juristin Khadha. Die meisten würden sich deshalb lieber unterordnen und die Gewalt akzeptieren. Auch Leilas Eltern wollten sich nicht in die Probleme ihrer Tochter einmischen. Die Familie ihres Mannes riet ihr, sich nicht zu trennen. "Ich sollte Ruhe bewahren und keine Familiengeheimnisse ausplaudern", erinnert sie sich.
Männerdominanz brechen
LDDF-Präsidentin Fouzia Assouli besteht dennoch auf die große Bedeutung des Scheidungsrechts. Sie arbeitet gleich um die Ecke im feministischen Zentrum "Ciofem", einer "Brücke zwischen praktischer Arbeit und Forschung", wie die 52-jährige Aktivistin erklärt. "Wir wollen die Verhältnisse verändern, die auf der Dominanz der Männer basieren", sagt sie, und auch zahlreiche Plakate verweisen darauf, dass sich die Frauen hier wenig an traditionellen Werten orientieren. "Ni putes ni soumises" - weder Hure noch Unterwürfige -, stellt ein Poster der feministischen Bewegung Frankreichs klar.
Studien der Organisation haben ergeben, dass die Moudawana bislang nur wenig erreicht hat. Noch immer immer würden 13-jährige Mädchen vermählt, weil sie schwanger seien, kritisiert Assouli. Da Ausnahmen in der Polygamie und in der Verheiratung von Minderjährigen weiterhin zugelassen sind, gebe es eine große Grauzone.
"Das Gesetz lässt den Richtern sehr viel Spielraum." Konservative Juristen könnten also weiterhin im Interesse der traditionellen Männerwelt entscheiden. Ist also alles eine Farce? Nein, kontert die säkulare Feministin, "zum ersten Mal hat die Idee der Geschlechtergerechtigkeit Eingang in die Rechtssprechung gefunden."
Wo Tradition und Moderne so eng nebeneinander bestehen wie in Marokko, lässt der Begriff Geschlechtergerechtigkeit viele Interpretationen zu. Etwa zwei Autostunden entfernt sind wir in Rabat mit der PDJ-Abgeordneten Bassima Haqqaoui verabredet. Ein paar Stühle, kein Tisch, kahle Wände - Bassima Haqqaoui empfängt uns in einem kargen Warteraum des Parlaments, ihr braunes Kopftuch und ihre dunkle Tunika betonen das Einfache, Traditionelle, Religiöse.
Schon seit acht Jahren sitzt die islamische Abgeordnete im Parlament. "Wir sind für eine Gleichberechtigung im Sinne der Gerechtigkeit", erklärt sie. Was sie damit meint? Zum Beispiel das Erbrecht, das weiterhin am Koran orientiert sei und für Töchter und Söhne verschiedene Erbanteile vorsieht. "Die Männer bekommen in manchen Fällen mehr, weil sie die Familie beschützen und unterhalten müssen."
Viele wollen der PJD nicht abnehmen, dass sie wirklich hinter dem neuen Gesetz steht. "Sie machen immer wieder Vorschläge, die der Idee des Gesetzes widersprechen", kritisiert die Feministin Assouli. Haqqaoui scheint diese Skepsis zu bestätigen. Sie ist besorgt über die hohe Scheidungsrate, die seit der Reform festzustellen sei. Dass sich laizistische Aktivistinnen gegen die Verheiratung von Mädchen starkmachen, hält sie für eine "falsche Debatte", die aus dem Ausland komme. Eine 17-Jährige sei schließlich nicht wirklich minderjährig, meint sie und betont: "Ich glaube an Gottes Gerechtigkeit."
Viele Probleme bleiben
Längst ist die Diskussion um die Reform Teil einer übergeordneten frauenpolitischen Debatte geworden. Deutlich abgegrenzt von fundamentalistischen Konzepten macht sich etwa die Ärztin Asma Lamrabet für einen "dritten Weg" stark, der auf humanistische Ideale setzt, die sie im Koran findet. Die "islamische Feministin", wie sie sich selbst bezeichnet, wirkt mit ihrem knallbunten Kopftuch jedoch wenig traditionell.
Bislang sei die Heilige Schrift immer nur "patriarchal und diskriminierend" interpretiert worden, erklärt Lamrabet und verweist auf die katholische Befreiungstheorie. Die Rechtsanwältin Fadela Sebti hält dagegen: "Entweder wir sprechen von Frauenrechten, Gleichheit und humanistischer Vision oder vom Koran." 20 Jahre lang hat sie sich für die Reform stark gemacht. Aus ihrem beruflichen Alltag weiß die Anwältin, dass noch viele Probleme bleiben. Etwa die Frage, was nach der Scheidung passiert: "Ich habe noch keinen Mann gesehen, der vertraglich akzeptierte, dass seine Frau nach der Trennung mit den Kinder bei einem Anderen lebt."
Davor haben auch Asisa und Leila Angst. Hier im Frauenhaus Centre Tilila sind sie sicher vor ihren Männern. Und sie lernen Französisch, eine kleine Hilfe für die Zukunft. Doch was wird draußen passieren, wenn sie wieder auf sich alleine angewiesen sind? "Arbeit suchen, am besten wieder in einer Autofirma", hofft Leila. Zurück in das Armenviertel, in dem sie mit ihrem Mann lebte, will sie auf keinen Fall. Dort habe sie nie Kontakt zu den Nachbarn bekommen. Sie hat Angst um ihr Kind. "Er hat sie misshandelt; um sie zu schützen, bin ich hierher gekommen." Ihre Tochter habe jetzt noch Albträume, ergänzt Asisa. "Ich werde jedenfalls alles tun, damit meine Kinder nicht das erleiden, was ich erleiden musste."
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